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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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Lügnerin.«
    »Ich muss gehen, ich habe noch so viel zu erledigen.«
    »Jaja, geh nur zu deinem fetten Boris.«
    »Boris ist so süß!«, entrüstete sich Tanja. »Ich verstehe überhaupt nicht, warum du ihn nicht magst.«
    Jeder hat seine Fehler, dachte Iwan. Ich fackle Ungeheuer mit Karbid ab und küsse Verflossene, und Tanja verwöhnt dicke Meerschweinchen.
    »Zwischen uns beiden herrscht bewaffnete Neutralität. Wir sind eben eifersüchtig aufeinander wegen dir.«
    »Wanja, er ist ein Schlachttier!«
    »Tja, fressen und gefressen werden«, räsonierte Iwan und verschränkte die Hände unter dem Kopf.
    Von wegen Schlachttier. Nie im Leben würde Tanja es erlauben, dass jemand ihren Liebling verspeist.
    Iwan schwindelte vor Müdigkeit. Sogar die Zeltwände drehten sich im Kreis. Doch es war kein unangenehmes Gefühl.
    »Ich bleibe noch einen Augenblick bei dir«, sagte Tanja und setzte sich an den Bettrand. Er spürte ihren warmen Schenkel.
    »Na gut, bleib noch einen Augenblick«, erwiderte Iwan gnädig. Ohne die Augen zu öffnen, hob er den Arm und legte ihn zwischen Tanjas Beine. Warm und geborgen. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit spürte er so etwas wie inneren Frieden. Ich bin genau am richtigen Ort, dachte Iwan und gähnte dann so breit, dass sich ein Krokodil erschreckt hätte. »Ich habe nichts dagegen.«
    »Frechdachs!«
    »Ich habe einen Tiger gesehen«, sagte Iwan im Halbschlaf, doch weiter kam er nicht mehr mit seiner Geschichte. Die Welt verlor ihre Stofflichkeit und er sank durch Kissen und Boden hindurch nach unten, ins Reich der Bewusstlosigkeit.
    »Schlaf gut«, flüsterte Tanja. »Morgen wird ein schwerer Tag.«
    Iwan öffnet die Augen. Im Zelt ist es dunkel. Er steht auf. Seltsamerweise hat er Tarnanzug und Stiefel an. Er verlässt das Zelt und bleibt stehen. Wo bin ich?
    Ein Bahnsteig mit Reihen gewundener, schwarzer Säulen. An den Wänden Reliefs. An einer Wand steht der Name der Station. Er beginnt mit dem Buchstaben A, den Rest kann Iwan nicht lesen. Doch das Wichtigste ist ihm klar.
    Dies ist eine andere Station, nicht die Wassileostrowskaja . Und hier ist niemand. Überhaupt niemand. Alles verwaist.
    Iwan geht den Bahnsteig entlang.
    Auf dem Gleis steht ein Zug.
    In einem der Waggons ist Licht. Iwan nähert sich ihm. Die Fenster sind ausgeschlagen, die Leisten an den Rahmen verrostet. Man kann noch erahnen, dass der Waggon ursprünglich blau lackiert und die Sitze früher mit braunem Kunstleder bezogen waren. An den verrußten Innenwänden des Waggons tanzt flackerndes Kerzenlicht. Es zieht. Die Zugluft aus dem Tunnel bläst durch die Waggons und streicht durchs schüttere Haar auf der trockenen Stirn einer Mumie. Verkarstete Augenhöhlen. Die Haut wie dünnes Pergament, um das Gerippe gespannt. Ein Brillantring im Ohr – Erinnerung an eine vergangene Zeit.
    Auf den Knien der großen Mumie liegt eine zweite. Sie hat sich eingerollt und ihre Finger sind gekrümmt. Wenn ein Mensch stirbt, trocknen die Sehnen aus und verkürzen sich. Deshalb sind bei der großen und bei der kleinen Mumie die Hände gleichermaßen gekrümmt. Als würden sie auf Hundeart schwimmen. Außerdem schneiden sie die gleiche grinsende Grimasse. Das kommt auch von den Sehnen. Und vom Tod.
    Auf den spitzen Knien der großen Mumie eine kleine, schlafende.
    Die große Mumie hält eine dicke, brennende Kerze in der Hand. Die Flamme züngelt im Luftzug. Über die Finger rinnt Paraffin.
    Um die beiden Mumien herum sitzen noch Dutzende weitere. Alle Sitze sind belegt.
    Neben jeder großen Mumie eine kleine, manchmal auch zwei.
    Jede große Mumie hält eine Kerze in der Hand. Es riecht nach Verwesung und verbranntem Paraffin.
    Der Waggon der brennenden Kerzen.
    Iwan tritt ein und bleibt stehen.
    Der Waggon der Mutterliebe.
    Es heißt, gemäß den Vorschriften über die Schutzbunker ließ man Frauen mit Kindern unter zwölf Jahren schon früher hinein, schon bevor der Atomalarm ausgelöst wurde. Sie hatten das Recht, in der Station zu bleiben oder in einem Zug, der an der Station hielt. Und sie blieben dort. Alle. Iwan würgt an einem Kloß im Hals. Dann bemerkt er etwas, was ihm zuvor entgangen ist. Durch die Haut der Mumien bohren sich an manchen Stellen graublaue Triebe. Wie bei keimenden Kartoffeln. Iwan streckt die Hand aus …
    »Nicht anfassen«, sagt eine Stimme.
    Iwan dreht sich nach der Stimme um. Vor ihm steht ein groß gewachsener Greis. Die Augen des Greises leuchten grün, wie bei dem Tiger letztens.
    »Ein

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