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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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noch, um das Alter in Würde zu tragen? Tja.
    »Tanja, wo steckst du?«
    Iwan betrat den Vorraum zwischen Tierzucht und Fazenda. Auf einem langen Tisch, der aus alten Stühlen und einer Holzplatte zusammengezimmert war, stand eine altertümliche Waage. Die Waagschalen glänzten wie poliert und die Gewichte standen säuberlich aufgereiht. Hier wogen Tanja und ihre Kollegin die Meerschweinchen. Neben dem Tisch stand ein Stuhl, auf dem eine ältere Dame friedlich döste. Ihr graues Haar hatte sie zu einem Dutt zusammengesteckt. Als Iwan hüstelte, zuckte sie zusammen und fuhr herum.
    »Iwan! Mein Gott, hast du mich erschreckt.«
    »Guten Abend, Marja Sergejewna. Entschuldigen Sie, dass ich Sie geweckt habe. Wissen Sie zufällig, wo Tanja steckt?«
    Marja Sergejewna hielt sich die Hand auf die Brust, als wollte sie verhindern, dass ihr das Herz heraussprang. »Ich weiß nicht, Iwan.« Sie schüttelte den Kopf. »Obwohl, wahrscheinlich in dem Zelt, wo der Brautmoden-Laden ist. Aber lass dir nicht einfallen, dorthin zu gehen«, fügte Marja Sergejewna geschäftig hinzu. »Es bringt Unglück, wenn du das Brautkleid vor der Hochzeit siehst.«
    »Versprochen.«
    »Eigentlich müsste sie doch längst schlafen? Und was ist mit dir? Warum schläfst du noch nicht? Ach stimmt«, fiel ihr ein. »Sie hat dich gesucht. Und dein Freund war auch hier, dieser große …«
    »Sasonow? Das habe ich schon gehört. Na gut, ich gehe dann auch schlafen.«
    »Tu das, du bist ja schon ganz blass um die Nase … Warte!« Marja Sergejewna stutzte. »Was ist denn mit deinem Gesicht passiert?«
    An der Wassileostrowskaja (wie an vielen anderen Stationen auch) legte man großen Wert auf Rituale, die noch aus der Zeit vor der Katastrophe stammten. Dies galt insbesondere für das Hochzeitsritual, aus dem eine regelrechte Wissenschaft gemacht worden war. Die heilige Kuh der Stationsgemeinde.
    Iwan drehte noch eine Runde auf dem Bahnsteig, doch er konnte Tanja nicht finden. Ob sie tatsächlich schlief? Schließlich kehrte er in sein Zelt zurück, legte das Gewehr ab und verstaute die Tasche am Kopfende seiner Schlafstatt. Die Armbanduhr zeigte halb vier Uhr morgens. Er war todmüde. Doch das Gewehr ging vor. Iwan seufzte. Bei der Waffenpflege durfte man nicht schlampen, selbst wenn es sich um eine unverwüstliche sowjetische Kalaschnikow handelte. Das war wie Zähneputzen. Obwohl – wichtiger als das, denn ohne Zähne konnte man weiterleben, aber nicht ohne Waffe.
    Also: Öl, Lumpen, Putzstock, und los geht’s!
    Iwan döste immer wieder ein, während er mechanisch das Gewehr putzte. Manchmal wachte er auf und wunderte sich, was er da machte. Als er schließlich feststellte, dass er den Lumpen vollständig in den Lauf gestopft hatte, wurde ihm klar, dass das so nichts werden würde. Er legte die Einzelteile sorgfältig auf den Nachtkasten und ließ sich aufs Bett fallen, ohne sich auszuziehen. Er vergrub das Gesicht im Kissen. Endlich schlafen! Er drehte sich auf den Rücken und …
    Tanja schaute ihn an. Iwan lächelte. Was für ein schöner Traum. Nun war wirklich alles bestens.
    »Wo hast du dir das Hirn verbrannt, du Dussel?«, fragte sie.
    »Macht nichts, bis zur Hochzeit heilt es wieder«, erwiderte Iwan spontan und erst dann fiel es ihm wieder ein. »Ach so. Na ja, vielleicht nicht ganz …«
    »So, so. Bis zur Hochzeit. Wie schön, dass du noch daran denkst. Apropos …« Tanja legte gleichsam den Schalter um. »Hast du den Anzug schon anprobiert?«
    Verdammt. Richtig. Iwan wurde sogar für einen Augenblick wieder richtig wach.
    »Natürlich«, log er.
    Den Anzug hatte er doch tatsächlich vergessen.
    Ist aber auch kein Wunder, dass man in einer so verrückten Nacht alles vergisst, dachte er. Macht nichts. Das mit dem Anzug kann ich auch morgen früh machen. Ich stelle mir eben den Wecker. Aber wenigstens zwei Stunden muss ich schlafen, sonst überlebe ich das morgen nicht. Den ganzen Tag feiern. Die Hochzeitszeremonie durchstehen. Am schönsten wäre es aufzuwachen, wenn schon alles vorbei ist. Feierliche Rituale kann ich auf den Tod nicht ausstehen. Auf einer fremden Hochzeit feiern – das geht ja noch, aber auf der eigenen – ein Albtraum. Eine Expedition an die Oberfläche ist die reinste Erholung dagegen. Das war was, als ich damals mit Kossolapy den Dieselgenerator organisiert habe, Wahnsinn, wie wir uns abgeschleppt haben …
    »Hast du schon geschlafen heute?«, fragte Iwan.
    »Natürlich. Ich bin die Ruhe selbst.«
    »So, so.

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