Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
entdeckte, schüt telte er den Kopf. Mit dem Humor der Bewohner des Untergrunds konnte er nichts anfangen. Für ihn war das auch gar kein Humor, sondern eher die Manifestation eines Rückfalls in alte Verhaltensmuster. Als würde ein Affe, der sich aus einem Menschen in einen Affen zurückentwickelt hat, vor einem kaputten Fernseher sitzen und auf der Fernbedienung herumdrücken.
Unter der Erde war alles anders.
Unter der Erde konnte Selenzew nicht schlafen. Im Dienst kämpfte er zwar ständig gegen bleierne Müdigkeit und konnte kaum die Augen offen halten, doch war es damit schlagartig vorbei, sobald er sich seinem Bett auch nur näherte. Dann standen ihm qualvolle Stunden der Schlaflosigkeit bevor. Und diese Stunden wollten kein Ende nehmen.
Unter der Erde … Selenzew seufzte. Interessanterweise befand sich der Hauptbunker in größerer Tiefe, während er seinen Dienst im oberen Bereich versah, der sich unmittelbar an die übrige Metro anschloss. Dort unten gab es Gärten, Gewächshäuser und sogar eine Menagerie. Dazu mehrgeschossige Wohnanlagen, Swimmingpools und Fitnessräume für seinen Chef und die anderen hohen Tiere. Es gab alles, was das Herz begehrte. Und auch für den Service war dort gesorgt. Die Chefs ließen es sich gut gehen, und Männer wie Selenzew bedienten sie.
Selenzew war der geborene Diener.
Gleich würde er wieder in die Leitstelle zurückkommen und dort seinen Platz hinter den Monitoren einnehmen. Es bereitete Selenzew ein bizarres Vergnügen, zu beobachten, wie die Wilden »dort draußen« ihr Dasein fristeten. Die Szenen auf den Bildschirmen offenbarten den gewaltigen Unterschied zwischen dem Leben hier, wo sie nur wenige, gleichsam Auserwählte waren, und dem Leben dort, wo die Wilden auf engstem Raum hausten und sich für ein Stück Rattenfleisch oder eine Patrone gegenseitig umbrachten. »Wir sind die Eloi«, hatte einer der Chefs einmal gesagt. »Und die sind die Morlocks. Untergrundbestien. Menschenfresser.«
Als Selenzew das Warnsignal hörte – der Bewegungsmelder im Durchgangsraum hatte es ausgelöst –, beschleunigte er seinen Schritt.
Er musste seinen Kontrollgang beenden und in die Leitstelle zurückkehren. Das war sein Job. Zumindest bis sein Chef sich einfallen ließ, ihn zu befördern oder auch zu degradieren.
Am Ziel angekommen, blieb Selenzew wie vom Donner gerührt stehen. Vor ihm stand einer dieser Wilden.
Schmutzig, aggressiv und gefährlich.
Der Wilde zielte mit einer Doppelflinte auf Selenzew. Im Übrigen hatte der Wachmann keinen Zweifel daran, dass der Eindringling ihn auch mit bloßen Händen in Stücke reißen konnte.
»Wie schaltet man den Strom an der Wassileostrowskaja ein?«, fragte der Wilde mit heiserer Stimme. »Raus mit der Sprache.«
»Wie sind Sie hier reingekommen?«, fragte Selenzew zurück.
»Das spielt keine Rolle. Los, du gehst voraus. Wo sind hier die Schaltpulte für den Strom?«
Was für ein gebildeter Wilder, wunderte sich Selenzew. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihn in die Leitstelle zu führen. Neugierig inspizierte der Eindringling die Monitore und dann den Metroplan, auf dem alle Stationen und Bunker eingezeichnet waren.
»Hier sieht’s aus wie in der Schaltzentrale eines Atomkraftwerks«, sagte der Wilde.
Selenzew fielen beinahe die Augen heraus. In der Tat, ein bemerkenswert gebildeter Wilder. Doch der ließ ihm keine Zeit zum Staunen.
»Die Wassileostrowskaja ?«
Wortlos zeigte Selenzew auf einen Kippschalter mit der Aufschrift »Wass.«.
»Einschalten.«
»Sie verstehen das nicht. Das ist die Stromzufuhr zum Verteilerkasten …«
»Wir kriegen das schon hin«, entgegnete der Wilde. »Schalt ein.«
Klick. Ein grünes Lämpchen leuchtete auf.
»Das war’s schon?«, fragte der ungebetene Gast.
»Ja.«
»Und nun gib fein acht«, sagte der Wilde grinsend und in einem Ton, dass es dem Wachmann kalt den Rücken herunterlief. »Sollte dieses Lämpchen ausgehen, komme ich zurück.« Er musterte Selenzew von oben bis unten. »Und mache euch alle kalt.«
Nachdem der Eindringling gegangen war, saß Selenzew lange vor dem Schaltpult und betrachtete die Reihen der Leuchtdioden, die für die Linien und Stationen der Metro standen. Er kämpfte mit sich.
Langsam streckte er die Hand aus, um den Strom wieder abzuschalten … Andernfalls würde sein Chef ihn in der Luft zerreißen.
Doch dann fiel ihm der Blick des Wilden wieder ein. Nein, lieber nicht. Er zog die Hand wieder zurück und starrte auf das grüne Lämpchen
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