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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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Wassileostrowskaja .
    Rosabraune Rauten. Iwan erinnerte sich. Das Mädchen auf der Kugel trug ein eng anliegendes Trikot mit einem Muster aus rosabraunen Rauten. Sie war grazil, biegsam und gar nicht mal so jung. Zwischendurch spielte Musik. Ein Zirkusmarsch, wie Iwan sich ihn immer schon vorgestellt hatte. Temperamentvoll und traurig. Mit Pauken. Die fahrenden Artisten hatten einen chinesischen, mit Klebeband umwickelten Radiorekorder dabei, der die Musik ab und zu mit krachenden Geräuschen unterbrach. Den Zuschauern war das egal, sie konzentrierten sich auf die Vorstellung. Die Artistin balancierte auf der Kugel, dann tanzte sie über ein gespanntes Seil und lief auf den Händen. Ein Muskelmann mit einfältigem Gesicht hob sie hoch und stellte sie auf seine Schultern. Sie reckte ein Bein und zog es am Fuß hinter den Kopf, als wäre sie aus Gummi.
    Als sie wieder auf dem Boden stand und sich verbeugte, brandete tosender Beifall auf. Erst jetzt wurde Iwan bewusst, was für eine Totenstille zuvor geherrscht hatte. Besser gesagt, eine lebendige Stille, die im Spannungsfeld zwischen Zuschauern und Artistin förmlich vibrierte.
    Sie hieß Eleonora von Waiskaize. Kurz: Lera. Nach der Vorstellung ging Iwan zu ihr, um zu gratulieren, nun ja, eigentlich um sie aus der Nähe zu sehen, denn er litt schon damals unter Kurzsichtigkeit. Als er ihr gegenüberstand, bemerkte er auf ihrem glatten Gesicht in den Augenwinkeln feinste Fältchen.
    Er bedankte sich für die Vorstellung und überreichte ihr eine Blume – aus Papier. Und er sah in ihre Augen. Dunkle Augen, die schon vieles erlebt hatten. Durch den Glanz, den die Begeisterung der Zuschauer in sie hineingezaubert hatte, schimmerten Einsamkeit und Müdigkeit.
    Sie kamen ein bisschen ins Gespräch.
    Tatsächlich war Eleonora schon über dreißig. An die Zeiten vor der Katastrophe erinnerte sie sich wesentlich besser als Iwan. Wenn auch nur an bestimmte Dinge.
    Es ist generell erstaunlich, wie das Gedächtnis von Frauen funktioniert.
    Eleonora, Lera, erinnerte sich an Gerüche und Geräusche. An die Melodien von damals. Sie erinnerte sich dagegen an nichts von dem, was Iwan interessiert hätte.
    Außerdem erzählte sie von der Station Parnas – einem Paradies für Künstler. Angeblich waren dort alle gut und edel.
    Jung und schön.
    Kunstfertig und voller Inspiration.
    Dort herrschten Ruhe und Frieden.
    Ob sie ihr Paradies wohl gefunden hat?, fragte sich Iwan, während er hinter Solocha her trabte.
    Und was für eine Scheiße da am Dampfen war …
    »Legt an!«, kommandierte der Oberst.
    An der Schulter trug er das Abzeichen, das Memow Iwan gezeigt hatte.
    Das sind doch eigentlich ganz normale Menschen, dachte Iwan bitter. Und jetzt so was.
    Die Salve knatterte und die Menschen an der Wand zuckten. Das Krachen von zehn Gewehren war ohrenbetäubend in dem engen Raum. Im Augenwinkel sah Iwan den Reigen der Feuerblitze und dann, wie die Menschen im Trommelwirbel der Salve zu Boden sanken, sich zusammenkrümmten …
    Und starben.
    Ihre Schreie dröhnten noch in seinen Ohren, als er den Ort des Geschehens verließ. Iwan würgte.
    Wenn er die Augen schloss, sah er aufs Neue, wie die Kämpfer der Allianz die Überlebenden erledigten.
    Auf welcher Seite stehst du, Soldat?
    Verdammt.
    Warum macht man aus einem normalen Krieg ein solches Blutbad?
    Obwohl, dachte Iwan übergangslos, gibt es überhaupt einen normalen Krieg?
    Gibt es so etwas?
    An der Station Ploschtschad Wosstanija dominierte die Farbe geronnenen Bluts. Die Vorfahren hatten das dunkle Rot offenbar mit Bedacht ausgewählt. Iwan lehnte die Stirn gegen den kalten Marmor und kniff die Augen zusammen. So verharrte er und hoffte, wie so oft, dass alles nur ein Albtraum sei.
    Wach auf!, sagte er zu sich. Wach endlich auf!
    Die Geschichte wiederholte sich. Mit geschlossenen Augen sah er das Geschehen in der Vergangenheit noch einmal ablaufen.
    »Das ist das Lazarett!«, sagte der Leutnant.
    Den Raum erhellte grelles elektrisches Licht. Die Verwundeten lagen oder saßen auf Feldbetten und hoben die Köpfe, als die Ankömmlinge eintraten. Sie schauten finster und doch voller Erwartung. Am anderen Ende des Zelts standen einige Krankenschwestern und ein Arzt in einem blutverschmierten weißen Kittel.
    Der Leutnant ging durch die Reihen der Feldbetten und musterte die Verwundeten. Einige wandten sich ab, andere glotzten. Iwan ging hinter ihm her. Er hatte keine Ahnung, was er hier sollte.
    »Was machen wir mit ihnen?«
    Der

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