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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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Leutnant blieb stehen. Der Arzt kam auf ihn zu und sah ihm gerade in die Augen. Er hatte ein kantiges, unebenmäßig geformtes Gesicht.
    »Veranlassen Sie, dass wir Wasser bekommen«, sagte der Arzt. »Wir haben hier schließlich Verwundete.«
    Der Leutnant blickte sich um. »Verwundete?«, fragte er mit verständnisloser Miene.
    Der Arzte schluckte. Der Adamsapfel unter seiner blassen, faltigen Haut hüpfte auf und ab. Sein Hals war mit grauen Bartstoppeln übersät.
    »Wo, bitte schön, sind hier Verwundete? Ich sehe nur Feinde des Imperiums.«
    Der Arzt war wie vor den Kopf geschlagen. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie die Farbe aus seinem Gesicht wich.
    »Das hier sind kranke Menschen. Sie brauchen Hilfe! Geht das nicht in Ihren Kopf?! Ich habe weder Wasser noch Medikamente, noch Verbandmaterial. Meine Helferinnen …«
    »Ihre Helferinnen«, sagte der Leutnant in eigentümlichem Ton. Der Arzt verstummte mitten im Satz. Der Leutnant betrachtete die Krankenschwestern in ihrer weißen Kleidung. »Tatsächlich, Ihre Helferinnen.«
    »Ich verstehe nicht, was hier …«
    Ein Feuerblitz. Ein Schuss. Der Leutnant blinzelte. Die Miene des Arztes gefror, als hätte man sie mit farblosem Klebstoff übergossen. Er geriet ins Schwanken. Die Krankenschwestern begannen zu schreien. Immer lauter.
    »Mund halten«, befahl der Leutnant leise. Nachdenklich betrachtete er seinen Revolver, als sähe er ihn zum ersten Mal. Er drehte ihn zerstreut hin und her und steckte ihn dann ins Halfter zurück.
    Der Arzt stürzte zu Boden. Iwan beobachtete, wie er fiel und wie auf seiner Brust ein kleiner roter Fleck erschien, der sich langsam durch den weißen Stoff des Kittels fraß. Das Lazarett und die Menschen verschwanden. Iwan sah nur noch dieses Blut. Sein Herz schlug bis zum Hals. Er war so geschockt, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Vorwärts oder rückwärts gehen?
    Was ist hier eigentlich los?
    Was tue ich hier?
    Das muss ein Albtraum sein.
    Iwan sah auf. Der Leutnant verzog keine Miene. Sein Blick war so kalt und gleichgültig wie der einer Riesenschlange, die sich an einem sonnigen Plätzchen eingerollt hat, um zu dösen.
    In dem lichtdurchfluteten Raum herrschte eine beklemmende Stille.
    Die Lippen des Leutnants bewegten sich plötzlich. »Alle töten«, sagte er knapp. Dann wandte er sich an die Krankenschwestern und sagte mit einem fratzenhaften Grinsen: »Meine Damen, wenn Sie mich bitte entschuldigen.«
    Der Arzt war auf die Seite gefallen. Iwan machte einen Schritt nach vorn. Die Gliedmaßen des Toten schlugen noch einmal unkontrolliert in die Höhe, als stünde er unter Strom. Dann rührte er sich nicht mehr. Seine Augen waren weit aufgerissen und starrten ins Leere. Befremdet. Ungläubig.
    Der Leutnant streckte die Hand aus, an der noch die Kälte des Revolvergriffs haftete.
    »Meine Damen?«
    Erst jetzt schrien die Krankenschwestern wirklich.
    Iwan schüttelte den Kopf, um die ungebetenen Erinnerungen zu verscheuchen. Das alles war schon lange her und außerdem nicht wahr.
    Einbildung.
    Oder doch keine Einbildung?
    Natürlich nicht. Bittere Realität.
    Damals war die Station Ploschtschad Alexandra Newskowo von den Veganern erobert worden. Und dann hatte das Gemetzel begonnen. Iwan war damals siebzehn Jahre alt und diente seit gerade mal drei Monaten als Söldner in der veganischen Armee. Es war sein erster Kampf nach der Ausbildung. Und auch sein letzter.
    In der folgenden Nacht schnitt Iwan dem Leutnant die Kehle durch und floh.
    Iwan konnte sich noch gut daran erinnern, wie ihn die »Grünen« durch den Tunnel jagten und ihm dann in den Lüftungsschacht folgten. Ein Kampf in der Finsternis. Feuerblitze, Schüsse. An die Oberfläche trauten sie sich dann aber doch nicht. Iwan dagegen ging das Risiko ein. Was hätte er auch sonst machen sollen? Die Alternativen waren die sofortige Erschießung oder ein elendes Sklavendasein, womöglich mit einem halluzinogenen Pilz im Kopf. Nein danke.
    Mörder.
    Iwan seufzte. Auf diese Weise war er zur Wassileostrowskaja gekommen, ans andere Ende der Metro.
    Und jetzt holte ihn diese Geschichte wieder ein.
    »Wanja!« Es war Solocha, der nach ihm rief. Iwan drehte sich um. Das Gesicht des Diggers war so weiß wie der Schnee auf der Kuppel der Isaaks-Kathedrale. »Da hinten … Gladyschew …«
    Iwan wurde klar, dass das alles erst der Anfang war.
    Scheiße. Anders konnte man das wirklich nicht nennen.
    »Wo ist unser Dieselgenerator?«, fragte Gladyschew mit gefletschten

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