Pittys Blues
und Zeigefinger am Ohrläppchen, immer und immer wieder. Und er merkte, wie sich sein Bauch aufbäumte.
«Du hast mich geküsst.»
«Ich weiß! Ich bin ja nicht blöd!»Seine Antwort fiel schroffer aus als beabsichtigt.
«Und vorher hast du mich angeschrien.»
«Na ja, nicht unmittelbar.»
«Und du hast mir noch nicht gesagt, warum.»
«Stimmt.»Er hatte auch jetzt nicht vor, ihr den Grund zu nennen.«Woher wusstest du es?»
Pitty kam nicht mehr mit.«Wovon redest du jetzt?»
«Ich kann nicht mit dir... ich kann das nicht. Das kann doch kein Zufall sein, dass du genauso in dem Pick-up gelegen hast wie er damals.»
«Wie wer?»
Pitty wünschte sich weit weg. Also, wenn das neue Leben hieß, sich erklären zu müssen und in einem solchen Tempo durch den Wald zu rennen, in dem man nichts mehr hören konnte, außer sich selbst und all die Menschen, die jemals durch das Unterholz gepflügt waren, dann wollte sie ihr altes Leben zurück.
Sie drehte sich um und schloss die Augen, versuchte, etwas anderes zu spüren als ihr Herz, das ihr aus der Brust springen wollte. Ihr Atem ging schwer und stoßweise. Diese plötzliche Beschleunigung des Lebens ging nicht so einfach an ihr vorüber.
Sie glaubte sich zu erinnern. Sie wusste nicht, ob es wirklich passiert oder ein Traum gewesen war. Sie sah Dicks Wagen, sie war ein Mädchen. Er stand mitten auf der Lichtung, es war dunkel. Sie sah Umrisse von zwei Gestalten, die vor dem Pick-up standen und langsam darauf zugingen. Pitty konnte keine Gesichter erkennen, sie fror. Alles war durchscheinend. Sie hörte ein Wimmern und schloss die Augen. Die Menschen waren nicht mehr da, als sie die Augen wieder öffnete, und Pitty schlich auf den Pick-up zu. Sie fühlte sich beobachtet, meinte, einen Atemhauch an ihrem Ohr zu spüren, und sah sich mehrmals um. Es war vollkommen still, sternenklar, die Luft wie frisch gewaschen. Sie war allein.
Als sie an der Fahrertür ankam, streckte sie die linke
Hand aus, befühlte den verwitterten Lack und kam den letzten Schritt näher, der sie von dem Wagen trennte.
Auf Zehenspitzen stehend lugte sie durch das Fenster und sah dort einen Jungen liegen. Er war nicht viel älter als sie. Er sah sie an. Er hörte nicht auf, sie anzusehen, blinzelte nicht, sie hielt seinem Blick stand. Sie wusste nicht, was sie sonst hätte tun sollen.
Und dann war sie wieder auf dem verschneiten Weg und spürte Dicks Blick auf ihrem Körper.
Dick war weitergegangen, bis er nach einigen Metern gemerkt hatte, dass Pitty zurückgeblieben war.
«Pitty?»
Sie gab keine Antwort.
«Pitty, alles in Ordnung? Hey, es tut mir leid.»
Sie sagte etwas. Er verstand sie nicht.
«... gesehen.»
Er hörte sie nicht richtig.«Was sagst du?»
«Ich habe ihn gesehen.»
«Wen?»
«Den Jungen, wie er dalag. Und die anderen.»
«Elliot!»
«Verdammte Scheiße!»Mit einem lauten Scheppern landete die gusseiserne Pfanne vor Vera auf dem Boden. Sie stopfte sich ihren rechten Handballen in den Mund und kurz darauf in ein Waschbecken mit Eiswasser. Ein verkohlter Pfannkuchen rutschte unter dem Tresen durch und landete vor Alfreds Hund. Aber selbst Sir George war er zu dunkel. Der alte Alfred bekam davon nichts mit. Er starrte aus dem Fenster in den Schnee
und wiederholte ständig, dass seine Mimi da gestanden hätte. Aber niemand nahm ihn für voll, denn seine Mimi war schon vor Urzeiten in die ewigen Jagdgründe für Mulis eingegangen. Vera hatte nur einen Moment nicht aufgepasst. Sie hatte ebenfalls aus dem Fenster geschaut, und vor ihren Augen waren die vielen weißen Flecken zu einer Decke verwoben worden. Sie hätte sie nur beiseiteschieben müssen. Und dann hatte sie kurz an Dick und das Mädchen gedacht und sich die Hand verbrannt. Jemand musste den Vorhang endlich beiseiteschieben.
Dick blieb stehen. Sie hatte Elliot gesehen!
«Was hast du genau gesehen?»
«Ich weiß es noch nicht.»
Dick merkte, dass Pitty ihm ausweichen wollte, und packte sie am Arm.
Er war aufgeregt.
«Pitty, nur damit ich das richtig verstehe: Du sprichst von meinem kleinen Bruder Elliot TreLuke, okay. Was für andere?»Er hatte seinen Griff nicht gelockert, und Pitty versuchte ohne Erfolg, sich herauszuwinden.
Erst als sie vor Schmerz quietschte, ließ er locker. Er hatte nicht gemerkt, mit was für einer Kraft er zugepackt hatte. Seine Hände zitterten, und er versteckte sie hinter seinem Rücken. Als er merkte, wie unsinnig das war, schob er sie vorsichtig wieder nach
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