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Pittys Blues

Pittys Blues

Titel: Pittys Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Gaebel
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bald zu sehen, standen gut, immerhin lag er direkt hinter ihr. Sein Atmen war ruhig und gleichmäßig. Pitty wunderte sich, dass er nicht schnarchte. Sie dachte immer, dass alle Männer schnarchen würden, da sie nur die Männer ihrer Familie kannte, und die waren nachts noch lauter als am Tag. Erst recht, wenn sie getrunken hatten. Auf Pitty hatte es beruhigend gewirkt, sie war damit aufgewachsen. Dass Dick in der Nacht keinen Mucks
von sich gegeben hatte, hatte sie beunruhigt. Aber Pitty war schlau genug, ihn nicht noch einmal zu behelligen.
    Da stand sie nun, hellwach, und wusste zum ersten Mal in ihrem Leben nichts mit sich anzufangen. Jedenfalls nichts Gescheites. Sie drehte sich um, und ihr Blick blieb an dem letzten glimmenden Scheit im Kamin hängen, bevor er zu Dick weiterwanderte.
    Pittys Tage waren bisher immer gleich abgelaufen, eigentlich ihr gesamtes bisheriges Leben. Sie war nie zur Schule gegangen. Einerseits, weil ihre Mutter sie von ihrer Geburt an für zu dumm gehalten hatte, andererseits, weil man als Frau auch nicht wirklich etwas zu wissen brauchte. Aber Pitty hatte trotzdem gelernt. Ihre zwei älteren Brüder, die Zwillinge Clive und Davis, brachten ihr Lesen und Rechnen bei. Abends, im Bett, fand sie kleine Notizen ihrer Brüder unter dem Kopfkissen, Hausaufgaben, die sie, wenn sie erledigt waren, den Jungs unter die Kissen schob. Wenn es etwas Neues zu lernen gab, schlichen sich entweder Clive oder Davis zu Pitty in die Kammer und brachten es ihr bei. Als Gegenleistung nahm Pitty die Schuld auf sich, wenn die Zwillinge etwas kaputt machten. Mit dieser Abmachung waren alle glücklich.
    Denn Pittys Mutter Jenna-Mae wollte, dass die Jungs spürten, wenn sie etwas verbockt hatten, und zwar an ihrem Hosenboden.
    Der Vater, Claude, hätte seine Kinder nie geschlagen, und das war das einzige Thema, bei dem er seiner Frau gegenüber mal richtig laut werden konnte. Jeder Schlag
tat ihm mehr weh als einem seiner Sprösslinge, was Jenna-Mae natürlich als unmännlich auslegte.
    Wie dem auch sei, Pitty lernte, und ihre Brüder konnten ungestraft Scheiße bauen.
    Pitty stand zu Hause vor Sonnenaufgang auf, molk die Kuh, fütterte die Hühner und ging anschließend in die Küche, um mit Jenna-Mae das Frühstück für die Familie zuzubereiten. Wenn die Männer ihren Arbeiten nachgingen, putzte sie. Und so ging es den Tag über weiter, zu langweilig, um alles zu erinnern.
    Pitty hatte jahrelang gewartet, es war ihr nur nicht aufgefallen. Sie hatte auf diesen Moment gewartet, an dem sie gehen würde, an dem sie nichts mehr von dem brauchte, was sie umgab oder besaß.
    Und als der Moment da war, handelte sie.
    Sie ging wieder zum Sofa und betrachtete den noch schlafenden Dick. Bei Tageslicht wirkte das Wohnzimmer viel karger als bei Feuerschein.
    Pitty beschloss, sich für den Tag fertig zu machen, und ging ins Badezimmer.
    Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, stand Dick an der Küchenzeile und sagte:«Ich habe Kaffee gemacht, setz dich doch.»Pitty setzte sich.
    Dick lächelte, und als Pitty das sah, krampfte ihr Magen.
    «Was machen wir jetzt?»Der Abstand zwischen ihnen war gewachsen, er schien riesig.
    «Wohl eher, was mache ich jetzt.»Dicks Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.
    «Und was mache ich...»Pitty konnte ihren Gedanken
nicht ausführen, Dick war ihr plötzlich so nah, dass sie nur ihn angucken konnte.
    Er küsste sie:«Guten Morgen.»
    «Guten Morgen.»Sie kam sich ein bisschen albern vor.
    «Pitty hör mal, ich muss da was erledigen. Ich muss...»
    «Ich weiß. Lass mich mitkommen.»
    Dick wusste, dass er länger brauchen würde, um sich zu erklären, und das war ihm zu anstrengend, jetzt jedenfalls. Also sagte er lieber gar nichts. Stattdessen trug er die Tassen zum Spülstein und spülte sie ab. Er hatte den Tisch für sie gedeckt. Er deckte sonst nie den Tisch. Er hatte Kaffee gekocht. Er kochte sonst nie Kaffee. Er ging höchstens zu Vera und zuckte am Tresen kurz mit dem Arm, um sich einen großen Becher zu bestellen. Er hatte tatsächlich noch Kaffee im Haus gehabt, die Spinnweben in der Kanne waren leicht wegzuspülen gewesen. Allerdings hatte es ihm ein wenig leidgetan, das Spinnennest zu entfernen. Er hatte das Fenster geöffnet und die Spinnenfamilie umgesiedelt.
    Dick betrachtete sein Zuhause. Seine Möbel, die ihm immer gut genug waren, kamen ihm alt und abgelebt vor. Und mittendrin stand Pitty und sah ihn an. Pitty.
    «Ich wasch mich nur noch kurz, dauert nicht lang.»Dick

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