Pittys Blues
konnte. Sie löschte das Deckenlicht, und der dumpfe Lichtstrahl, der aus dem Wohnzimmer fiel, durchschnitt die Dunkelheit. Viel war passiert, vieles war neu für Dick und sie. Pitty dachte, dass ihr Leben mehr Farbe bekommen hatte und dass das gut war.
Dick war auf dem Sofa sitzen geblieben und stützte die Arme schwer auf die Knie. Er war müde, seine Gedanken verlangsamten sich und lullten ihn ein, während er sich noch fragte, was eigentlich heute mit ihm passiert war. Und weil er ohnehin schon so vornübergebeugt saß, dachte er sich, er könne doch die Schnürsenkel seiner Stiefel auffriemeln. Nachdem er das getan hatte, und zwar ziemlich schwerfällig, zog er erst den linken und dann den rechten Schuh aus. Er ließ sich in die Kissen zurückfallen und machte sich lang. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf, starrte ins Feuer, das jetzt nur noch glimmte, gähnte ausgiebig mit einem jaulenden Geräusch, schloss die Augen und grunzte.
In Rickville hatten sich trotz des aufregenden Tages alle irgendwann zu Hause eingefunden. Nach und nach waren in der Stadt die Lichter verloschen und die Menschen in ihre Betten gegangen. Bis auf Peter Phillips, der ging anstatt in sein Bett immer heimlich in das von Minnie Lewis, aber das ist eine andere Geschichte. Ach ja, und Pepper wachte bei seinem störrischen Kran. Er war eingebuddelt in einen Haufen Wolldecken, die ihm die anderen Männer gegeben hatten, nachdem ihre Überredungskünste an dem Riesen abgeprallt waren. Ein anderer, der auch nicht zu Hause nächtigte, war Ben Simmons. Der hatte sich - allerdings nur unter größtem Protest - auf Veras Sofa gelegt.
Es waren auch alle die ganze Nacht liegen geblieben - bis auf Pitty. Die stand auf einmal wieder auf und ging zurück zum Sofa. Pitty war plötzlich der Meinung, dass man laut aussprechen musste, was man fühlte oder dachte, denn sonst würden entweder das Gehirn oder das Herz oder beides platzen oder langsam verschrumpeln.
Pitty zögerte, dann sagte sie sehr leise:«Du bist es, weißt du? Du bist der Grund dafür, dass ich hier bin.»
Dick setzte sich auf und sah Pitty an. Der letzte Rest der Glut im Kamin warf ein leises Licht auf die beiden. Dick hob die Wolldecke an, die er sich übergeworfen hatte. Pitty kroch neben Dick aufs Sofa und kuschelte sich an ihn. Ihr Wunsch nach einem Gespräch verstummte. Dick spürte, wie sie sich entspannte.
Er seufzte.«Na, dann kann ich jetzt wohl endlich schlafen.»
«Ja, das kannst du. Und ich auch.»
«Ja, du auch.»
Dick schlief nicht. Nichts von dem, was ihm sein Leben seit dem Tod seines kleinen Bruders gebracht hatte, hatte ihn überrascht. Denn alles hatte ihm immer wieder gezeigt, dass seine schlechte Meinung vom Leben richtig war. Und dann tauchte dieses Mädchen auf, und er hatte begonnen, sie zu mögen und seine Einstellung zum Leben in Frage zu stellen. Und dann war Jones gekommen und hatte seine gesamte Erinnerung auf den Kopf gestellt. Jones. Pitty. Jones und Pitty.
Er lag auf dem Sofa und sah in sich hinein.
So, wie wenn man lange nicht mehr etwas von Hand geschrieben hat, so ungelenk fuhren Dicks Gedanken über seine Erinnerungen. Er sah, wie sie sich dank des neu gewonnenen Wissens zu neuen Wahrheiten formten. Die Schrift schwarz, das Papier wellte sich widerspenstig unter der Feuchtigkeit vieler Enttäuschungen und Selbstvorwürfe.
Er war seinem Schicksal hinterhergehinkt, hatte versucht, seinen Schmerz mit äußerer Gelassenheit wettzumachen.«Spiel! Das Leben ist ein Spiel. Nimm es nicht zu ernst, nimm es auf die leichte Schulter, so wie ich. Mir kann niemand was.»Das hatte sein Dad zu ihm gesagt, damals.
Am Ende hatte ihm eine Kugel aus dem Gewehr eines eifersüchtigen, betrogenen Ehemannes doch etwas anhaben können. Und hatte Jones und Lilly die Freiheit geschenkt, wenn auch nur für kurze Zeit.
DER ZWEITE TAG
T räume sind etwas Mächtiges. Sie begleiten einen noch den folgenden Tag, bringen einen dazu, sich immer wieder an sie zu erinnern und sich zu fragen, was ihre Bilder bedeuten könnten. Verfolgungsjagden, Küsse, Tote. Der pure Wahnsinn lebt in einem selbst. Er flutscht ab und zu an die Oberfläche, zeigt der Realität, wo ihre Grenzen sind, und uns Menschen, dass wir mehr sind, als wir glauben wollen oder zu sein scheinen. Träume können töten, sie können aber auch Leben retten. Und sie können jemanden dazu bringen, einem Gegenstand in die Seele zu schauen.
Pepper behandelte seinen Kran immer, als hätte er eine
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