Pittys Blues
seiner Kindheit kannte.
Er schob es noch Jahre später auf den Schnee, der den Boden und dessen Unebenheiten verdeckte. Bei normalem Wetter wäre ihm so etwas niemals passiert, behauptete er gern. Und wenn man ihn unvorbereitet darauf ansprach, konnte er sogar sehr ungemütlich werden. Aber das ist wohl eine andere Geschichte.
Kurz vor dem Waldrand hielt Dick Pitty plötzlich am Arm fest und fragte:«Was machen die denn schon hier?!»Er rieb sich sein rechtes Schienbein, das einige Minuten zuvor die unliebsame Bekanntschaft mit einem Stück Holz gemacht hatte.
Dick wusste nicht, was er erwartet hatte, aber die Lichtung sah genauso aus, wie er und Pitty sie am Vortag verlassen hatten. Eine Traube von Menschen stand dort und diskutierte lautstark.
Dick wurde bei dem Anblick ganz kalt. Er hatte gehofft, allein zu sein.«Es ist doch noch so früh...», dachte er. Er hatte gar nicht bemerkt, dass es schon fast Mittag war.
Pitty nahm seine Hand und zog ihn weg, zurück in den Schutz der Bäume.
«Dick, du musst da nicht hingehen. Sie wissen nicht, dass wir sie gesehen haben, wir können erst noch etwas anderes machen.»Sie zog ihn weiter.
Er ließ sich bereitwillig von ihr wegführen, Pitty ließ seine Hand nicht los, und er wollte auch nicht, dass sie es tat. Nach einigen Metern übernahm er wieder die Führung. Er wusste, wo sie hingehen mussten. Er wollte
etwas in Erfahrung bringen. Und wenn jemand ihm zu dem Thema etwas sagen konnte, dann war das Tulipe. Sie würden zum Sugarclub gehen. Tulipe wusste bestimmt, was sie zu tun hatten.
Tulipe saß an der Bar und hielt ihren Kaffeebecher mit beiden Händen fest umschlossen.
Der Sugarclub war nicht nur ihr Arbeitsplatz, er war auch ihr Zuhause. Ihr privates Reich war unterm Dach. Es war ein kleiner Raum, in dem sie sämtliche Erinnerungen, die mit dem Club zu tun hatten, aufbewahrte.
Seit ein paar Monaten fühlte sie sich nicht mehr wohl in ihrer Haut. Sie konnte nicht sagen, woran das lag, sie wusste auch nicht, wie sie es hätte ändern können oder ob sie es wollte. Es war nicht körperlich, dessen war sie sich sicher. Es lag an ihrem Leben im Allgemeinen. Lebenskater.
Sie hatte sich schon vor langer Zeit daran gewöhnt, dass sie nie dazugehören würde, egal, wo sie hinkäme. Sie hatte es sogar begrüßt. Aber jetzt, da sie in ein Alter kam, in dem die Partys der Nacht am Tag danach doch ganz gewaltig auf den Magen und den Kopf hauen konnten, merkte sie, dass ihr etwas fehlte. Etwas, von dem sie eine Ahnung hatte, was sie aber nie erlebt hatte. Und dann war der Schnee gekommen und hatte in ihr wachgerufen, was sie nicht hören wollte, was aber so laut nach ihr schrie, dass es ihr Kopfschmerzen bereitete.
Sie hatte nachts kaum geschlafen, ihre Gedanken hatten sie wach gehalten.
Das Klopfen an der Tür schnappte ihr den letzten Gedanken
weg, bevor sie ihn fassen konnte. Tulipe zog sich vom Barhocker hoch und ging trotz der mehr oder weniger durchwachten Nacht mit grazilem und spursicherem Hüftschwung zur Tür und öffnete sie.
Vor ihr standen Pitty und Dick.
Tulipe zog eine Augenbraue hoch und lächelte keck.«Na ihr beiden, von euch hört man ja tolle Sachen!»Unter normalen Umständen wäre Tulipe wegen einer solchen Bemerkung ein kehliges Lachen entglitten, aber nicht heute. Sie öffnete die Tür weit und ließ Pitty und Dick eintreten.
«Guten Morgen, Tulipe. Du hast es gewusst, oder?»Dick hielt nichts von höflichem Geplänkel, wenn es sich vermeiden ließ. Er kam gleich zur Sache:«Jones hat dir mit Sicherheit davon erzählt, ich bin mir sicher, dass du es weißt, also...»
Tulipe unterbrach ihn gebieterisch und hielt sich theatralisch den Kopf:«Setz dich, Dick!»
Tulipe stellte ihren Becher auf einem der Tische ab und schnupperte davor noch einmal kurz das Aroma.
«Wollt ihr einen Kaffee? Mit oder ohne Schuss?»
«Danke, wir hatten schon.»Dick setzte sich, wie ihm befohlen, Pitty blieb stehen. Sie bedankte sich und nahm das Angebot an.
Pitty war noch nie in einem Club gewesen, aber sie hatte schon von solchen Lasterhöhlen gehört. Tulipe flößte ihr einen Heidenrespekt ein, als die Augen der zierlichen Frau auf ihr ruhten.
«Einen Kaffee also für das Mäuschen, kommt sofort.»Sie ging zum Tresen, schnappte sich einen Becher und
füllte ihn mit dampfender Brühe. Als sie Pitty den Kaffee reichte, sah sie ihr lang und prüfend in die Augen, führte sie zu dem Tisch, an dem ihr Becher stand, und drückte Pitty sanft, aber bestimmt auf
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