Pittys Blues
Verborgenen das Dasein einer Familie lebten, das mit Dick und der Geburt Elliots nahezu perfekt war. Wenn da nicht Gene gewesen wäre, wenn da nicht die Geheimhaltung, das Versteckspiel, der Betrug und die Unaufrichtigkeit, wenn da nicht die Realität gewesen wäre. Und er erzählte, wie Lilly nach Elliots Tod immer weniger wurde und schließlich verschwand. Wie leise Lilly gestorben war und wie viel sie von Jones mit sich genommen, aber was sie auch dagelassen hatte: Dick.
Für Pitty und Dick verschwand die äußere Welt, während sie Jones zuhörten. Sie sahen nur noch den roten Schein des Feuers, sie hörten nur das Knacken und Jones’ Stimme, alles war konzentriert auf den alten Mann, der mit dem Rücken zum Kamin saß und erzählte.
Sie ließen ihn reden. Und in Jones öffnete sich diese alte Wunde erneut, aber dieses Mal hatte er das Gefühl,
als blute er. Diese Wunde hatte geschmerzt, sie war vereitert, sie war tief gewesen, aber sie hatte nie geblutet, war nie gereinigt worden. Jones hatte nie um Elliot und Lilly weinen können, weil er seine Trauer nicht zeigen durfte oder mit demjenigen teilen konnte, der für ihn am wichtigsten war und von dem er wusste, dass er einen vergleichbaren Schmerz durchleben musste.
Das Feuer war heruntergebrannt, die Whiskeyflasche leer, die Hütte lag im Dunkeln, als sie keine Worte mehr fanden. Dick leckte den letzten Tropfen aus seinem Glas und stand auf. Er ging zu Jones und setzte ihm einen dicken Kuss auf den schütteren Scheitel.
Pitty war voller Energie und zugleich erschöpft. Sie wollte am liebsten sofort den nächsten Tag beginnen, aber Dick und Jones bremsten sie:
«Es ist besser, wenn wir jetzt schlafen gehen.»Dick drehte sich um und ging zum Kamin.«Das Bett ist frisch bezogen, ich schlafe auf der Couch.»
Jones stand auf und verbeugte sich vor Pitty:«Miss Pruitt, ich wünsche eine gute Nacht.»Er nahm Pittys Hand, ignorierte Dicks protestierenden Grummler und drückte ihr einen Kuss auf den Handrücken. Seine Barthaare kitzelten, und Pitty sah gütig wie eine Königin auf Jones und hob den Blick zu Dick, der sie beobachtete.
Jones ging zur Haustür und nahm seine Jacke vom Haken, an den er sie vor einer Ewigkeit, in einem anderen Leben, gehängt hatte.
«Ich werde mich auf den Weg machen.»
«Das musst du nicht.»
«Ist schon in Ordnung so, jetzt kann ja nichts mehr passieren. Ich muss alles sacken lassen - und ihr auch. Gute Nacht.»Er war schon fast aus der Tür, da hielt Dick ihn kurz am Arm fest:«Danke... Jones.»Als müsste er einen neuen Namen finden für den Freund.
Jones umarmte den überraschten Dick fest und verschwand mit einer zum Gruß erhobenen Hand in der nicht mehr lange währenden Nacht.
Pitty und Dick waren allein. Jones’ Worte hingen noch wie eine große Blase in der Luft, endlich ausgesprochen, nicht mehr bereit, sich wieder einsperren zu lassen.
Dick stand noch an der Tür, sein Blick klebte an Pitty. Die saß aufrecht auf dem Sofa. Sie erwiderte Dicks Blick. Er musste sich zwingen, sie nicht anzuspringen und an sich zu pressen. Er war aufgeregt wie ein kleiner Junge, der seinen ersten Fisch an der Angel hat, aber nichts mit ihm anzufangen weiß.
Pitty ging es ähnlich. Nur, dass sie mehr als bereit war, dem Fisch kräftig auf den Kopf zu hauen.
Dick setzte sich zu ihr, sein Gesicht kam dem ihren näher, ihre Blicke ließen sich nicht los.
Und Dick küsste Pitty diesmal genau so, wie dieser Kuss sein sollte, warm, zärtlich, mit gezügelter Begierde. Und Pitty erwiderte. Dick und Pitty küssten diesen Kuss ihretwegen, sie küssten ihn für alle Menschen, die sich nicht küssen konnten, für alle, die sich nicht trauten, für alle, die sich nicht nah waren, und sie küssten ihn für Jones und Lilly. Deren heimliche Liebe, die noch im Raum hing, ließ sie tiefer in diesen Kuss sinken, ließ
sie Zeit und Luft anhalten. Und während der Kuss zu vielen Küssen wurde und die beiden das Sofa einnahmen, ihre Umarmung enger, fester, zärtlicher wurde, wuselte sich die Zeit weiter und schubste den Mond drängelnd gen Westen.
Dann ging Pitty leise ins Schlafzimmer und lehnte die Tür an. Sie machte sie nicht zu, obwohl sie es anfangs wollte. Sie hätte nur die Klinke loslassen müssen, und das Schloss wäre eingeschnappt. Aber sie lockerte ihren Griff nicht und drückte die Tür wieder ein Stückchen auf. Ein klitzekleines Stückchen, gerade so viel, dass sie durch den schmalen Spalt hindurch in das angrenzende Wohnzimmer sehen
Weitere Kostenlose Bücher