Pixity - Stadt der Unsichtbaren
’ne Runde in die Badewanne.« »Nein«, gluckste sie, »allein.« Die Sache mit dem neuen Schloss. Hatte der Typ angerufen? Wegen des Schlüssels? Er brauchte ihn doch. Konnte doch nicht so einfach in eine Wohnung rein. Bentner war leicht überfordert. Das mit dem Schlüssel hatte er vergessen, keine Ahnung. Vielleicht klingelte der beim Hausbesitzer in der ersten Etage, »na servus«, sagte Lisa, »dann bleib ich hier lieber noch bei Corinne und such mir was Neues.«
Sie redeten, was sich nicht vermeiden ließ, über das Wetter und Lisa sagte endlich: »Weißt du was, ich ruf jetzt den Türfritzen mal an und bring ihm vor der Arbeit den Schlüssel vorbei. Bete mal, dass uns der Eisregen erspart bleibt.«
Eine halbe Stunde später waren die Straßen überfroren.
Bentner schaute eine Weile auf den Bildschirm, das Ordnersymbol, den Ordnernamen. Dossiers . Klickte. Vier Worddokumente, wie erwartet, wie schon einmal gesehen, er öffnete das erste, Alina .
»Total von der Rolle, schizo, na ja, bei der Mutter. Ist schwer auszurechnen, alles zuzutrauen. Groß im Heucheln von Orgasmen. Also eigentlich gefühllos, frigide, alles an ihr frigide. Kaltes Feuer. Wenn sich eine schon die Schamhaare in Herzform rasiert.«
Interessant, dachte Bentner und öffnete das nächste Dokument, Gorland .
»Eindeutig misanthropischer Künstlertyp, langweiliger Charakter, durchschaust du sofort. Unzufrieden. Überschätzt sich. Wird als Alkoholiker enden. Eher jemand, der ins Puff geht.«
So, so. Michael .
»Mm, schwer. Integrationstyp, dabei schleimscheißerig, dass dir schlecht wird. Gedanken wohl eine Mördergrube, vielleicht schwul, keine Ahnung. Von daheim her wohlhabend, aber nicht mehr? Verarmt? Muss ich rausfinden. Größter Intrigant, aber man durchschaut es.«
Man durchschaute es. Letztes Dokument.
»Völlig naiv. Untätig, auf seine scheiß Programmiererei fixiert, wahrscheinlich fickt der auch in C++ oder Java oder Flash. Spannertyp irgendwie. Immer gucken. Hat seine Beziehung vergeigt, haha.«
Danke, Claus. Bentner schloss die Dateien, steckte sich eine an und blies den Rauch gegen die vereiste Fensterscheibe. An keiner dieser Personenskizzen fand er irgendetwas auszusetzen, an der seinen am allerwenigsten. Und wahrscheinlich vollzog sich auch sein Beischlaf nach einem Programm, multimedial und auf jeden Fall interaktiv, darüber mochte er jetzt nicht nachdenken, es war alles zu trivial, was Weidenfeld eingefallen war, die erste Ableitung bekannter Funktionen. Die Sache mit Alinas Mutter, was auch immer, war eine Neuigkeit für Bentner, aber ebenfalls eine triviale, nahm er an.
Die Worddokumente waren zuletzt am 11. November geändert worden, seitdem ruhten sie nebst all den anderen Belanglosigkeiten auf der Festplatte, ein paar Kopien über neue Methoden der Buchführung in mittelständischen Betrieben, eine Sammlung Rechnungen über Schmuck, den der Casanova via Internet geordert hatte, kein Stück über 200 Euro.
Am späten Abend wurde aus dem Nieselregen Schnee. Wind kam auf, stöberte, begann zu attackieren. Es war fünf Tage vor Heiligabend, noch lag niemand in der Krippe, zum Glück.
Im Freibad von Pixity wütete permanentes Hochsommerwetter. Jana gönnte sich eine kühle Cola am Stand neben dem Eingang – irgendwann hätte sie auch Lust auf ein großes Eis – und wurde zu einem wohlbeschirmten Tisch am Pool gekickt, in dem schon einige Jungs und Mädchen zappelten, so gut man das eben hinbekam mit drei Grafiken, die in schneller Folge ausgetauscht wurden.
Bentner musste lachen. Pixies in Badehose oder Bikini, den Trauerflor um den jugendlichen rechten Bizeps. Sprangen sie ins Wasser, war der Trauerflor verschwunden, verließen sie das Becken, umschloss er wieder den Oberarm. Ein Programmierfehler, eine Schludrigkeit. Bentner notierte sich den Lapsus, man konnte ihn morgen oder wann auch immer zur Sprache bringen, wenn es einen gelüstete, den Chef heraushängen zu lassen.
Jana vertrieb einige Jungs, genoss ihr Getränk (Bentner wusste gar nicht mehr, wie Cola schmeckte, stellte es sich aber vor) und verfolgte das Treiben um sie herum. Ein Mädchen lief, die Sprechblase mit den drei Punkten wie eine steife Fahne vor dem Mund, hin und her; sie flüsterte also. Aber mit wem? Niemand reagierte, sie flüsterte mit sich selbst oder hatte vergessen, den Privatmodus auszuschalten. Diehenny, 13, hübscher roter Bikini, keinen Plan, sie lief kreuz und quer und war auf einmal verschwunden.
Bentner
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