Pixity - Stadt der Unsichtbaren
veräppelt (»Wenn ich würmchen sehen will, geh ich in garten, also schleich dich«), dann war ihnen Kleoschatzi über den Weg gelaufen, in der Lobby des Gästehauses, eine Blume hatte sie sich ins Haar gesteckt (2 PD), trug auch den Trauerflor wie überraschend viele und war »voll les«, eine 15-Jährige mit icq, die ihre Nummer sogleich aller Welt mitteilte. Bentner seufzte und kopierte sich die Zahlenreihe, Jana würde das Mädchen bei Gelegenheit adden.
Keine der beiden Annas hatte sich heute blicken lassen, auch der Schoß der Dame chillerkiller bedurfte scheinbar keiner Begutachtung durch kleine Mädchen. Bentner schaute noch einmal über das Protokoll, konnte nicht umhin, den Eifer des Fakeduos zu bewundern, wollte das Dokument schließen und stieß zwischen all der wortreichen Anmache auf zwei versteckte Zeilen:
NataschaX: login 20.12; Foyer 20.14; Privatraum DixieEye 20.15; Freibad 20.16; Park 20.16; Nudelrestaurant 20.16; Privatraum DixieEye 20.17; Weihnachtsmarkt 20.17; logout 20.17 .
Fünf Minuten lang hatte sich NataschaX durch die Stadt bewegt, ruhelos, nervös, ohne zu sprechen, ohne angesprochen zu werden, fünf Minuten, in denen Lisa eine köstliche Nachspeise malträtiert hatte und keine Tastatur. Ganz ruhig, Bentner. Sie war es nicht, du warst es nicht, derjenige, der ihren Rechner einschaltete, sich bei Pixity als NataschaX angemeldet hatte. Und herumlief, suchte.
Dreimal hatte es Bentner von Eisregen raunen hören. Die Stimme im Radio, ein glucksendes Jungmännerorgan, verkaufte es als kommende Katastrophe, Bentner drehte den Kasten ab und schaute aus dem Fenster auf den tatsächlich grauen Himmel, der schwere Last mit sich trug.
»Passen Sie auf! Haben Glatteis gemeldet!«
Die Frau aus dem dritten Stock, der er im Treppenhaus begegnete, warnte kurzatmig, zwei leere Abfalleimer schwenkend.
»Wird mal wieder nix mit weißen Weihnachten!«
Bentner trauerte mit ihr.
»Leider.«
Das ältere Ehepaar an der Fischerhütte inspizierte ohne große Hoffnung den Himmel.
»Komm, mir ist schon kalt«, sagte sie und wies mit einem ihrer Stöcke zum Rundweg. Er murmelte Unverständliches und hustete kurz, vertiefte sich in den Aushang der Hütte, »täglich fangfrisch Forellen«. Sie wurde ungeduldig. »Wenn erst mal der Eisregen runter kommt, ist es zu spät.«
Der Mann hieb seine Stöcke in den gefrorenen Boden, versuchte es wenigstens und sagte: »Na dann.« Sie setzten sich in Bewegung, beschleunigten, wurden kleiner.
Die wenigen Spaziergänge, die er mit Olivia um den See unternommen hatte. Stets bei Sonnenschein, daran erinnerte sich Bentner, und auch daran, dass Olivia luftige Kleider getragen hatte und das Haar zu einem Pferdeschwanz gebändigt. Sie gingen an dem länglichen Stück mit den Parzellen vorbei, auf denen typische Kleingärtnerei gepflegt wurde. Sie amüsierten sich über Gartenzwerge und rümpften die Nasen über den beißenden Geruch von Gegrilltem, ein dünner Schweißfilm in Olivias Nacken, den er in einem unbeobachteten Moment trocken zu lecken versuchte, das Ganze nur noch schlimmer machte, er mit seinen klatschnassen Haaren, das war ihm peinlich, sie nahm es mit einem Lachen. »Rauchst zu viel.«
Er musste die Karte mit der Telefonnummer haben, so etwas wirft man doch nicht weg. Verflucht, er war ein Idiot.
Das musste es sein. Ein quadratisches Steinhäuschen, frisch geweißelt, ein blauer Fensterladen aus Holz, mit Lamellen wie man sie heute kaum noch sah. Konnte nicht geräumig sein, vielleicht fünf auf fünf Meter, links und rechts der Tür stapelten sich alte Blumenkästen, der Vorgarten war listigerweise mit feinem Kies überzogen, ein dünner Strich aus dunklen Platten teilte ihn. Bentner öffnete das Türchen, es quietschte etwas in den Scharnieren.
Den Schlüssel fand er schließlich in einem der schiefen Türmchen links von der Tür, Melly hatte die Wahrheit gesagt. Aufschließen. Es war eiskalt in dem einzigen Raum, miefte nach verbrauchter Luft und Reinigungsmittel, ein Raum im Halbdunkel, etwas von dem diffusen Tageslicht fiel durch das rückwärtige Fenster, die angegilbte Gardine. Man konnte im Rahmen tatsächlich die Silhouette des Lustschlösschens auf der anderen Seite des Sees erkennen, verpackt in trüben, von der Eisfläche aufsteigenden Nebel.
Die Einrichtung war wohl das, was man zweckmäßig nennt. Ein schmales Bett zur Linken, unmöglich, sich zwei Personen darin Seite an Seite ruhend vorzustellen, aber hier sollte eben nicht geschlafen
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