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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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erschien. Zurück zur Hauptseite, zur Übersicht der privaten Chaträume. Raum schatzi(2), chillerkiller und Lisa waren also schon drin, chillerkiller hatte den Zugang auf zwei Personen begrenzt.
    »Lisa?«
    Sie standen leblos im Kinoraum, chillerkiller und NataschaX, wurden von Jungs angesprochen, von Mädchen gedisst, sie antworteten nicht, Lisa blieb stumm.
    »Lisa?«
    Schau doch endlich mal auf die Seite!
    chillerkillers Figürchen verschwand als erstes. Sie hatte sich ausgeloggt. Lisa allein, »Lisa? Was ist los?«
    Dann loggte sich auch NataschaX aus. Der Platz, an dem sie gestanden hatte, war nun leer.

GARNKNÄUEL
    Die Kleinigkeiten. Das verfluchte Unbedeutende. Die Banalitäten, über die man hinwegsieht, die man gar nicht sieht, die man falsch sieht, die einem die Sicht versperren.
    Es war Bentner in dieser Nacht nicht gut gegangen. Lisa hatte sich auch am Telefon nicht gemeldet, ein dämliches Tuten ins Nirwana, erst gegen Mitternacht eine lakonische Mail, die von einem kollabierten Rechner berichtete, von endlosen Versuchen, sich bei Pixity einzuloggen, jedes Mal vergebens, das Ding hängte sich einfach auf. Das Telefon? Sie habe kein Telefon gehört, sorry, »mach mir keine Angst, ein verrecktes Telefon hätte mir gerade noch gefehlt.«
    Sie werde morgen nicht in die Firma kommen, das wisse er ja (er wusste es selbstverständlich nicht). Aber ob sie ihm Spaghetti kochen solle? Heute Abend? Die billigen aus dem Aldi, darauf müsse er gefasst sein, eine Soße aus Pizzatomaten und Tomatenmark, »aber die Kräuter sind geil«, ja doch, logo, eine Flasche Wein sei hochwillkommen.
    So hatten sie einige Mails ausgetauscht, nein, oh Mist, ihr Telefon sei gerade ziemlich tot. Und sie auch. So müde, so fertig, ja, diese abartige Frau, »man muss das erst verkraften, ich erzähl’s dir morgen, jetzt geh ich in die Falle und du schlaf auch gut.«
    Er hatte überhaupt nicht geschlafen. Sich ein akkurat programmiertes System vorgestellt, das hinter einer grafischen Oberfläche perfekt funktionierte, aber diese Oberfläche war ein einziges Chaos, nichts so, wie es sein sollte, und vielleicht war nur eine Winzigkeit außer Kontrolle geraten, eines dieser verfluchten Details eben, etwas, das man nicht bedacht hatte, falsch eingeschätzt oder unterschätzt, und wie oft schon war ihm das passiert, dieses Suchen bis zum Nervenzusammenbruch, wenn nichts anderes mehr im Kopf war als das monotone Repetieren eigentlich banaler Abläufe und wenn es trotzdem nicht klappte, übersehen worden war und jedes Mal neu übersehen wurde.
    Was machst du in solchen Situationen, Bentner? Du gehst spazieren. Tappst durch die Landschaft, versuchst die dämonische Maschine aus dem Kopf zu kriegen, achtest plötzlich auf Blumen und Bäume und Hausfassaden, was du sonst nie tust, und schiebst die Codezeilen in die dunkle Ecke deines Bewusstseins, wo sie weiterhin misstrauisch umkreist werden, ohne dass du es merkst, und dann, wieder zurück, hast du die Lösung. Sie ist natürlich banaler als banal. Sie wird dir auf dem silbernen Tablett serviert, ein stummer Butler hält sie dir hin und schüttelt den Kopf. Du auch. Du hast die Lösung. Oder auch nicht. Sondern nur ein neues Problem.
    Also ging Bentner spazieren. Es zwar zwanzig nach zwei und es schneite. Eine helle Nacht. Die Straßen, die Häuser überzuckert, Bäume und Büsche weiß wie Gespenster. Das vage Licht der Laternen, die fickrig-nervöse Zehntausendschaft bunter Glühlämpchen, zum üblichen Weihnachtskitsch arrangiert, hier ein Nikolaus auf seinem Schlitten, dort ein Hirsch mit einem Geweih aus Kreuzen.
    Bentner ging die Straße Richtung Bahnhof, bog in einen Seitenweg, an dem hinter Vorgärten die besseren Häuser der Gegend auf Distanz gingen. Völlig ohne Geräusche, nicht mal ein über Bentners knirschende Schritte empörter Hund. Er war in eine Sackgasse geraten (lächelte es in sich hinein: Ich bin in eine Sackgasse geraten), drehte um, kam wieder auf die Hauptstraße, sah die Rücklichter eines Autos, hörte den Motor, dann nicht mehr. Bentner ging weiter. Bis er nicht mehr wusste, wo er war, und es dann doch wusste.
    Hier irgendwo lebte Sarkovy, zwei Kilometer entfernt, an eine kurze Straße erinnerte sich Bentner, eine Straße mit einem Blumennamen. Alle Straßen hatten hier Blumennamen. Ein natürlich bis zum Exzess gepflegter Vorgarten – es war Frühling gewesen –, durch den ein Pfad aus sorgfältig verfugten Platten führte, eine breite zweiflügelige Haustür

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