Pixity - Stadt der Unsichtbaren
Bald.«
Sie schob mit beiden Händen ihr Haar in den Nacken, strähniges dunkelbraunes Haar. Sicher hübsch, wenn sie es mal wieder waschen und pflegen würde. Auch das Gesicht. Leicht mit Photoshop bearbeitet, ein paar Unebenheiten, ein paar Falten weg, einen Weichzeichner drüber laufen lassen.
»Sie sind nicht verheiratet, oder?«
Er schüttelte den Kopf.
»Sie haben keine Kinder?«
Er schüttelte wieder den Kopf.
»Keine Tochter, die Sie nicht sehen dürfen. Trotz Gerichtsentscheid, dass Sie ein Recht drauf haben.«
Es lief ihm kalt über den Rücken.
»Wollen Sie mal was hören?«
Sie erwartete keine Antwort, stand auf und ging zur Anrichte, auf der ein CD-Player stand, drückte einen Knopf, regelte die Lautstärke herunter. Einzelne Klaviertöne, fünf, Bentner erkannte das Stück sofort, noch bevor Chrissie Hynde zu singen begann.
»It’s a thin line between love and hate.«
»Das spielt er den ganzen Tag, verstehen Sie? Okay, zufällig trifft das auch auf mich zu. Aber ich kann’s nicht mehr hören.«
Kehliges Lachen. Bentners linker Fuß wippte zum getragenen Schlagzeug, es war ihm beinahe peinlich.
»Das ist es, verstehen Sie. Seine Frau hasst ihn, er liebt sie, sie hasst ihn, weil sie ihn mal geliebt hat, er liebt sie, weil er sie nicht hassen möchte. Und ich rede furchtbaren Quatsch.«
»Nein«, sagte Bentner, aber sie hörte ihn wohl nicht. War wieder aufgestanden, brachte das Gerät zum Schweigen, noch bevor Chrissie sang, wie der Mann bandagiert im Krankenhaus lag und nicht fassen konnte, dass ihm seine Frau das angetan hatte.
»Gehen Sie bitte, ich heule gleich. Noch mal danke.«
Er hätte sie fragen sollen, ob der Rechner immer eingeschaltet blieb, aber es war zu spät. Er stand wieder auf der Straße, schüttelte die Wärme der Wohnung ab, hörte Gorland schnarchen, sah die Frau an ihm vorbei zur Tür gehen, ihre Kleider streiften seine.
»Ich wünsch Ihnen noch was«, sagte sie und ihm war nichts Besseres eingefallen, als »Ja, gleichfalls« zu antworten.
Zwei Passanten liefen an ihm vorbei, schweigsame Jungs. Er wartete, bis sie um die nächste Ecke verschwunden waren. Viele Schritte aus allen Richtungen näherten, entfernten sich, das waren die Tanzwütigen, die Vergnügungssüchtigen, all die aufgebrezelten Hormonschleudern, aber auch die Verkäuferinnen der Warenhäuser, denen die Plattfüße wehtaten, die Spätdienstler, die Gassigeher, die Nutten aus der Wielandstraße ganz in der Nähe. Viele Schritte, keine von Highheels.
Als Bentner der Innenstadt zu lief, gönnte er sich noch einmal die Reminiszenz an Weidenfelds Sturheit, seinen Kampf um die alten Rechner, die doch noch »prima in Schuss« seien. Sie hatten feixend und mit verschränkten Armen um ihn herumgestanden, ihm zugesehen, wie er sich wahllos durch die Menüs klickte, »da seht ihr! Funktioniert!« triumphierte, einen Sermon auf die Wegwerfgesellschaft extemporierte, »das ist doch ein Marketingscheiß der Industrie, seid ihr wirklich so blöd?«
Es hatte ihm nichts geholfen, er war überstimmt worden. Und die alten Rechner, was war mit denen geschehen? Gorland besaß einen, immer noch, was Weidenfeld posthum recht gab. Die anderen?
Im Zug. Bentner hatte die Augen geschlossen, hörte die Durchsagen der Stationen. Hörte Reisende an sich vorbeigehen, aussteigen. Stieg irgendwann selber aus.
Es schneite. Aus einem dunkelblauen Himmel taumelten Flöckchen auf hübsche Wollmützen und glänzende Haare, das war lustig. Sagte Anna_lieb_dich. Ich find Schnee voll geil. Du?
Auch Rick fand Schnee voll geil. Sie flanierten über den Weihnachtsmarkt, zoomten die Verkaufsbuden heran, sehr praktisch war das, obwohl der Programmierer gepfuscht, sein Skript nicht optimiert hatte. Das Bild ruckelte ein wenig beim Vergrößern, die Gegenstände gerieten proportional leicht aus der Form, verschoben sich, verzerrten. Da hatte einer nicht Kopfrechnen gekonnt und war zu faul gewesen, einen Taschenrechner zu benutzen, um das Verhältnis von Höhe zu Breite korrekt zu ermitteln und zu übertragen. Wieder etwas, das man sich notieren sollte.
Anna_lieb_dich: ich möcht so ne waffel. kaufst mir eine?
Logo, kostete ja nichts. Man musste bloß zum Stand gehen und »eine Waffel, bitte« zur Verkäuferin sagen. Das löste ein Ereignis aus, ein von einem speziellen Skript abgefangenes EVENT, das die Verkäuferin automatisch antworten ließ. »Eine Waffel, hier bitte. Lass sie dir gut schmecken und frohe Weihnachten!«
Man
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