Pixity - Stadt der Unsichtbaren
mit Milchglas, ein Schatten dahinter, der näher kam, die Tür öffnete und die Vermieterin war, eine ältere Witwe, die das Erdgeschoss bewohnte. »Bringt der Alten Blümchen mit«, hatte Michael gesagt, und sie hatten es brav getan. Sie waren gleich hoch in die Wohnung, eine Wohlfühllandschaft aus gediegener Moderne, das heißt, sie hatten sich nicht wohlgefühlt, sich kaum hinzusetzen gewagt. »Setzt euch doch«, hatte Michael gesagt und sofort nach den Wünschen gefragt, alles vorhanden, hundert oder mehr Schnäpse wahrscheinlich, große silberne Platten mit Schnittchen, Lachs und Käse und Wurst.
Daran erinnerte er sich. Sah sich um und fand das Haus nicht, fand zu viele Häuser, die so aussahen wie das, in dem sie einen netten Abend verbracht hatten und von Michael mit kühlen Getränken und heißer Euphorie bewirtet worden waren. Darin war er groß. Motivation. Freundlichkeit. Man spürte direkt, wie einem die Zunge über den Steiß wanderte. Damals hatte Bentner das angenehm gefunden, irgendwie.
Etwa dreißig Meter vor ihm sprang etwas über ein Gartenmäuerchen. Ein Mensch, der kurz in Bentners Richtung blickte, dann in die andere. Sie gingen eine Zeitlang hintereinander her, der Abstand zwischen ihnen vergrößerte sich, denn Bentner wurde langsamer, der andere schneller. Ein Mann. Ein Mann? Wahrscheinlich. Er verschwand schließlich wie er gekommen war, diesmal in einer Seitenstraße, war plötzlich nicht mehr da, eine Laufspur im Schnee. Bentner folgte ihr nicht. Er hatte keine Lust, sich das zu erklären, tat es aber doch. Einer, der von einem geheimen Schäferstündchen gekommen war, ein Einbrecher, einer, der wie man selbst planlos unterwegs war, eine Abkürzung genommen hatte. Mochte alles sein. Wäre der Mann – der Mann? Ja doch, der Mann – stehengeblieben, Bentner wäre weitergegangen. Er hatte keine Angst gehabt. Das überraschte ihn im Nachhinein.
Zurück an der Haustür klopfte er sich den Schnee von der Kleidung, bemühte sich im Flur, keinen Lärm zu machen, schloss die Wohnungstür auf und hinter sich wieder zu. Und jetzt? Er hatte die Dinge tatsächlich in die dunkle Ecke geschoben, wusste, dass er nicht würde schlafen können, kochte Kaffee und wartete. Beträchtlich nach drei Uhr. Nichts geschah, kein Zettelchen mit der Lösung wurde gereicht, stattdessen fand sich Bentner in Sarkovys Wohnung wieder, damals, als sie bis in den Morgen getrunken und geredet hatten, auf unbequemen Stühlen und Sofas, Alina mit ihrem Kopf einmal schläfrig an Bentners Schulter, Weidenfeld, dem das nicht gefallen hätte, in einem strategischen Gespräch mit Sarkovy, Gorland, die Füße auf dem Glastisch, an die Decke starrend, ein Glas Wein in der Hand und irgendetwas im Kopf.
»Leck mich am Arsch«, hatte Alina – keine erotische Aufforderung – gesagt, den Kopf von Bentners Schulter nehmend. »Wir sollten alle nach Hause gehen.« Und sie waren nach Hause gegangen. Bentner in sein Bett, auf dessen linker Hälfte es dezent schnarchte, was Bentner so liebte. War auch damals nicht eingeschlafen.
Und jetzt plötzlich quälte ihn sein Gehirn doch. Es erwischte ihn kalt, kickte ihn aus der Erinnerung an Olivias Körper, an den er sich geschmiegt hatte – damals wirklich, heute in seiner Phantasie – dieses sachte Heben und Senken, das so beruhigte.
Vorbei. Nicht eine Lösung hielt ihm dieser krass denkende Kopf hin, nein, viele. Anna. Sie ist nicht Anna. Sie ist ein rächendes Wesen und hinter uns allen her. Wir haben ihr etwas angetan, einer oder eine von uns, vielleicht wir alle, ohne es zu wissen. Die Frau, die sich chillerkiller nennt. Sie ist das Mädchen, das sich Anna nennt, aber Anna ist kein Mädchen, Anna ist eine Frau, das wohl. Sie besitzt einen dritten PC neben den beiden Anna-Rechnern. Sie ist Alina. Oder Lisa. Alina, die du nicht kennst, Lisa, die du nicht kennst. Unsinn. Kein Unsinn. Doch Unsinn. Lisa war doch gefesselt, als du sie gefunden hast. Irgendwer hat dir eine Notiz unter die Scheibenwischer gesteckt.
Und diesen Gedanken hätte er nicht denken dürfen, denn sofort sah er das Bild vor sich. Pass auf. Die Füße sind kein Problem, die kann man sich selbst fesseln. Dann die Tücher für die Hände vorbereiten. Lockere Schlingen. Eine Hand durch, mit der anderen festziehen. Die dann noch freie irgendwie durch die Schlinge fummeln. Müsste klappen. Das lose Ende des Tuchs in den Mund, fest zwischen die Zähne nehmen. Liegen bleiben, warten. Was, wenn die Notiz, die man dem Idioten
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