Pizza Letale: Palinskis elfter Fall
jetzt eine halbe Stunde lang ein Bild über die sich im Internet abzeichnende Stimmung im Lande gemacht. Und die erschien ihm zunehmend gefährlicher zu werden. Heute Abend würden nach vorsichtigen Schätzungen der Polizei allein in Wien mindestens 150.000 Leute an der kurzfristig anberaumten Demonstration am Stephansplatz teilnehmen, in den Landeshauptstädten wurden jeweils zwischen 5.000 und 20.000 erwartet. Angesichts der höchst unterschiedlichen Weltanschauungen, die da im öffentlichen Raum aufeinanderprallen würden, bekam Schneckenburger es mit der Angst zu tun. Bei der herrschenden aufgeheizten Stimmung konnte eine einzige unbedachte Äußerung, eine überzogene Reaktion das Pulverfass zur Explosion bringen und im schlimmsten Fall zu bürgerkriegsähnlichen Tumulten führen. Wie ihm berichtet worden war, waren einige einschlägig bekannte Gruppen, denen es vor allem um Gewalt ging, im Anmarsch auf Wien und andere Veranstaltungsorte.
Der Ministerialrat schaltete seinen PC aus, dann griff er zum Telefon, um mit dem obersten Wiener Polizisten die weitere Verstärkung der für den Einsatz bei den Demonstrationen vorgesehenen Sicherheitskräfte zu besprechen. Als kleiner Bub hatte er unbedingt Lokomotivführer werden wollen, später dann auch Zirkusdirektor und Flugkapitän. An Tagen wie diesen bereute Schneckenburger, seine früheren Berufswünsche nicht mit mehr Beharrlichkeit verfolgt zu haben.
4.
Mittwoch, 23. Oktober – abends
Auf dem Weg zurück in sein Büro beschloss Palinski, seinen Mitarbeiter Florian Nowotny ein bis zwei Tage zur Beobachtung Marika Sanders und des Hauses in der Hameaustraße abzustellen. Vielleicht konnte man ja auf diesem Weg dem geheimnisvollen Dritten auf die Spur kommen.
Er begann gerade, nach seinem Handy zu suchen, um Franka Wallner über die aktuellen Entwicklungen zu informieren, als ihm einfiel, dass ihm das gute Stück ja abhandengekommen war. Wahrscheinlich verschollen im unendlichen Universum eines ewig gestrigen Ungustls mit Taxikonzession, der heute seine Bahn gekreuzt hatte. Was blieb ihm also anderes über, als sich auf die Suche nach einem der heute immer seltener gewordenen Telefonhütteln zu machen? Soweit er sich erinnerte, hatte es etwa 200 Meter stadteinwärts einmal ein öffentliches Telefon gegeben. Die Frage war nur, ob es heute noch immer da war. Ja, und funktionieren musste der Apparat natürlich auch noch.
Palinskis Optimismus wurde belohnt, das Hüttel mit seiner typisch gelben und bereits stark abblätternden Farbe stand da, wo es schon immer gestanden hatte, die Verbindung zwischen Hörer und Apparat war nicht unterbrochen und das System insgesamt intakt.
Florian war von seinem aktuellen Auftrag durchaus angetan. So gern er seine überzeugenden Talente am Computer auch einsetzte, war er doch froh, einmal hinauszukommen. Die frische Luft der kriminalistischen Praxis zu schnuppern. Er kündigte an, sich innerhalb der nächsten halben Stunde auf den Weg zu machen.
Oberinspektorin Franka Wallner war wieder nicht sonderlich überrascht, von der Existenz einer dritten Person im Hause Sanders zu hören. »Wir haben das schon vermutet«, gab sie an. »Sind aber wegen dieser anderen Geschichte«, damit meinte sie wohl die Ermordung Frau Bender-Nicerecs, »noch nicht dazu gekommen, diesem Verdacht nachzugehen. Im Moment drehen unsere Chefs völlig durch. Na ja, ein möglicherweise politischer Mord, keine drei Wochen vor den Wahlen. Das legt einige zusätzliche Nerven frei. Übrigens, falls du vorhaben solltest, irgendwann in Wien einen Einbruch zu begehen, dann mach das heute Abend.« Sie lachte bitter auf. »Heute werden nämlich so gut wie alle Kollegen, uniformierte wie zivile, wegen dieser Demonstration in der City unterwegs sein.«
*
Florian Nowotny hatte seinen Beobachtungsposten so gewählt, dass er neben dem Haus auch die Einmündung des weiter unten in die Hameaustraße führenden Weges beobachten konnte. Sofern sich Marika Sanders oder eine dritte Person nicht über den Hang hinauf zur Salmannsdorfer Straße absetzte, was sich in der herrschenden Dunkelheit eher schwierig gestalten würde, dann konnte er die zu observierenden Personen eigentlich nicht verfehlen.
Um sich die Zeit zu vertreiben, begann der junge Polizist, der sich vom Dienst hatte beurlauben lassen, um Jus zu studieren, die Fakten über den toten Wilhelm Sanders zu rekapitulieren, die er recherchiert und für seinen Chef in einem Bericht zusammengefasst
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