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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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gesprochen, wie ihre Mutter gestorben war, und er wollte lediglich über diesen einen dummen Traum reden, doch wie in so vielen vergangenen Momenten schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu.
    Er glitt von der Armlehne des Sessels und kniete sich vor seine Frau. Behutsam ergriff er sie an den Armen und löste ihre Hände von ihrem Gesicht. Als sie sich widerstandslos senkten, tat Seyha etwas, das Bill als schlimmer als den früheren Schlag empfand. Seyha drehte den Kopf weg, soweit es ihr Genick zuließ, schloss die trockenen Augen und sagte: »Lass mich in Ruhe. Bitte, Bill. Ich ... ich ...«
    »Sag es mir!« Mittlerweile war er wütend. Er ließ ihre Handgelenke los, die er zu fest gedrückt hatte. Verletzten wollte er seine Frau nicht, aber wie gerne hätte er sie in diesem Augenblick geschüttelt und ihr ins Gesicht gebrüllt: Sag es mir! Deinem Mann!
    Stattdessen lehnte er sich zurück und spannte jeden Muskel seines Körpers krampfhaft an, hielt mühsam an sich, um nichts zu tun, nur zu warten. Zu warten, wie er schon ihr ganzes gemeinsames Leben lang gewartet hatte.
    Wieder tänzelte eine zu offenkundige Verbindung in seinen Verstand, eine lästige Mücke, die er geistig zu verscheuen versuchte. Würde er ihr lauschen, wäre die Antwort eine Lüge. Sie umschwirrte ihn dennoch weiter, ein winziges Stück außer Reichweite.
    Die Kinder.
    Nein.
    Die Kinder.
    »Sey.«
    Seine Finger krümmten sich zu Fäusten und zitterten ob seiner inneren Anspannung. Zorn schlug erst in Verwirrung, dann in Frustration um.
    »Nein«, flüsterte sie. »Genug.« Gleich darauf entspannten sich ihre Züge ein wenig, und sie sah ihn an. »Nicht jetzt. Ich ... nicht jetzt.«
    In jenem Moment wusste Bill mit völliger Überzeugung, dass ein Wort, ein leises Bitte , ein wenig Nachsetzen diese neue Schutzmauer zwischen ihnen zum Einsturz bringen konnte. Seyha würde ihm endlich sagen, was nicht stimmte. Es schien die letzte Chance, für sie beide.
    Er starrte in ihr wunderschönes Antlitz; mit unverhohlener Angst flehte sie ihn stumm an, das Wort nicht zu sagen. Bill wusste, dass er es nicht konnte. Nicht, wenn es ihr so viel Schmerz bereitete. Dafür liebte er seine Frau zu sehr.
    Dass sich seine Brust plötzlich wie zugeschnürt anfühlte, ein Empfinden, als würde er etwas für immer verlieren, verriet ihm, dass dies jedoch nur ein Vorwand war. Bill begriff, dass unter der Oberfläche eine tückische Wahrheit lauerte, eine Wahrheit, die zu erfahren er sich mehr fürchtete als Seyha, sie ihm anzuvertrauen.
    Er ließ das Thema fallen.
    Bill wandte sich ab und setzte sich neben ihrem rechten Bein auf den harten Boden vor dem Sessel.
    Seyha flüsterte: »Es tut mir leid, Bill.« Er wusste, dass sie es ernst meinte; zugleich wünschte er, es wäre eine Entschuldigung, die er hätte annehmen können.
    Das Haus stöhnte, als wäre es frustriert, nur diesmal hörte es nicht wieder auf.
    Es hörte sich an, als donnerte eine Lokomotive durch das Haus; der Lärm war so laut, dass sich Gem auf der Couch neben Joyce einrollte und die Arme seitlich an den Kopf presste. Dann verstummte das Geräusch abrupt. Ein Moment der Stille, dann ...
    KNACKS!
    Etwas zerbrach unter den Schritten eines Monsters, doch Gem wagte nicht, sich umzusehen. Neben ihr drehte sich Joyce zur Seite und schaute hinter die Couch zur gegenüberliegenden Wand des Zimmers.
    Es folgten keine weiteren Geräusche. Stattdessen dauerte eine Stille an, die sich schlimmer anfühlte als das Ächzen und Stöhnen zuvor. In die Ruhe hinein flüsterte Joyce: »Gott, bitte nein ...«
    Vor ihnen drehten Bill und Seyha die Köpfe. Gem sah, wie Seyhas Lippen das Wort ›Bill‹ formten, dann kroch etwas Dickes und Unwirkliches von hinten über Gems Schädel.
    Sie schloss die Augen und dachte: Nicht schon wieder. Bitte, Gott, schick uns nicht zurück in die ...
    Weiter kam sie nicht.

DRITTER TAG DER FINSTERNIS
    Der Schnee zwischen der Kirche und dem Haus nebenan glich unter dem nächtlichen Himmel einem Kaleidoskop von Farben und Formen. Joyce schwebte etwa sechs Meter über dem Boden, umgeben von einem Stimmenchor, der durch das schimmernde Buntglas drang und die Nachbarschaft mit Musik erfüllte.
    Von allen Visionen, in die sie bisher gestürzt worden war, fühlte sich diese am ehesten wie ein Traum an. Noch vor einem Herzschlag hatte sie neben Gem gekauert und über die Rückenlehne der Couch ins Nichts geblickt. Das Foyer und die gegenüberliegende Wand waren verschwunden gewesen, einem endlosen

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