Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis
ihr Mund sagte: Lasst uns nun die Säkularisierungserklärung des Bischofs verlesen. Ihr Kopf drehte sich Bischof Mark Camez zu, der sich mit der ihm eigenen Mühelosigkeit erhob, einer Anmut, die Joyce selbst beim Gottesdienst nie nachzuahmen vermochte. Sie hielt ihm das Buch entgegen, das sie mit dem Daumen offen hielt, dann schwebte sie erneut gegen ihren Willen aus ihrem Körper und empor, trieb über die Köpfe der Gemeinde hinweg.
Wie Christus hing sie über dem Altar und starrte auf ihre Tochter ... und den mit Blut bedeckten Mann neben ihr, der einen Arm um Becs Schulter geschlungen hatte. Irgendwie hatte sich Ray neben einen Albert Fitts gezwängt, der seine Anwesenheit nicht zu bemerken schien. Ray lachte lautlos. Als er Joyce über dem Sanktuarium erblickte, winkte er ihr mit der freien Hand zu.
Nein! , wollte sie brüllen, hatte aber natürlich keine Kontrolle über die Situation. Am Rand ihres starren Blickfelds bemerkte sie Gem, die sich im hinteren Teil der Kirche herumdrückte und das Geschehen mit unverkennbar sorgenvoller Miene beobachtete. Dann wurde Joyce gestreckt und saß schlagartig auf der Kirchbank neben Ray. Eigentlich hätte kein Platz neben ihm – oder für ihn – sein dürfen, doch sie konnte sich nicht von ihm wegdrehen, um zu sehen, ob Mr. Fitts auf den Gang hinausgedrängt worden war. Sie konnte den Blick nicht von ihrem Mann abwenden. Sein Gesicht und sein Hemd waren blutverschmiert. Vorwiegend sein Hemd, das schief zugeknöpft war, als hätte er es überhastet angezogen. Einst war es weiß gewesen, nun jedoch glich die Mitte einem grellroten Fleck. Das Blut war auch aufwärts zu seinem Hals und Kinn gespritzt. Er zog Rebecca enger an sich, wenngleich ihre Tochter es nicht zu bemerken schien. Sie starrte weiter auf ihre andere Mutter, die neben dem Bischof stand. Ohne den Blick abzuwenden, flüsterte Rebecca: »Das ist echt irre, wie ein Fiebertraum.« Joyce war nicht sicher, ob sie dies im Dezember gesagt hatte. Vermutlich war es eher eine Reaktion auf diese neue, bizarre Version der Ereignisse.
Ray nickte. Zwei Blutrinnsale liefen ihm über die Bartstoppel am Kinn. Er drehte sich Joyce zu. »Ist es das, was du sehen möchtest, Liebste? Mich, tot in blutiger Pracht?« Als er lachte, flossen die Rinnsale wieder. »Warte einen Moment.« Er schürzte die Lippen und spuckte ihr einen Mundvoll Blut ins Gesicht.
Zu spät hob Joyce die Arme. Ihre Handflächen schmierten ihr die heiße Flüssigkeit über die Wangen und Nase, drückten sie ihr unabsichtlich über die Lippen. Sie senkte die Arme und starrte Ray an. Ihre Augen und ihre Zunge brannten. Es überraschte sie nicht, dass sein Anblick sie nicht mit Grauen erfüllte. Tatsächlich gefiel ihr, was sie sah. Gott, vergib mir, aber so sollte er sein – hätte er sein sollen.
Ray hob die freie Hand. In seine blutunterlaufenen Augen trat düstere Belustigung. »Die Frau will Vergebung«, sagte er. »Kommt sofort.« Er schnippte mit den Fingern. Sie waren zu nass, um ein Geräusch zu erzeugen, doch die Wirkung blieb dieselbe.
Joyce saß schlagartig auf der Kante ihres Bettes. Im Zimmer herrschte Düsternis, nur schmale Lichtstreifen von der Straßenbeleuchtung draußen fielen durch die Jalousien ein. Sie fasste sich vorne ans Nachthemd. Dieses Schlafzimmer war nicht jenes der Wohnung, die sie sich neuerdings gelegentlich mit Bec teilte, wenn ihre Tochter von der Schule zurückkehrte. Sie befand sich wieder zu Hause, in dem alten Haus, in der alten Kirche. Ihr Rücken war der geschlossenen Tür zugewandt. Durch sie – oder vielleicht durch die zu dünne Wand zwischen diesem und Becs Zimmer drang das Weinen ihrer Tochter. Einige kurze, gegrunzte Worte folgten, unverständlich, aber eindeutig in Rays schwerem Tonfall.
Gott, dachte sie. Bitte nicht. Es tut mir leid. Alles war meine Schuld, und es tut mir leid, aber bitte tu mir das nicht noch einmal an. Bitte nicht . Der Gedanke rollte ihr unablässig durch den Kopf, während sie aufstand und den weißen Frotteemorgenrock von der Aussteuertruhe ergriff. Bitte nicht, bitte nicht ... Erfolglos versuchte sie, sich davon abzuhalten, ihn anzuziehen und an der Tür zu zögern, als sie hörte, wie sich Rays schwere Schritte den Flur hinab entfernten. Töte mich, schick mich in die Hölle, aber bitte nicht das hier ... So leise wie möglich öffnete sie die Tür. Die alte Küchennische und der armselige Tisch, an dem sie ihre Mahlzeiten einnahmen, befanden sich zu ihrer Rechten. In der Welt
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