Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis
Schwarz gewichen, das herangekrochen war wie ein Nebel, der das Haus verschlungen hatte, als niemand hinsah. Es war auf sie zu, durch sie hindurch getrieben, und auf der anderen Seite hatte sie diese nächtliche Winterlandschaft erwartet, die sich unter ihr neigte und wiegte.
Wie ein Geist schwebte sie über der Gestalt, die zögerlich in pelzgefütterten Stiefeln vom Garten der Davidsons aus das Nachbargrundstück betrat. Langes blondes Haar ragte in komischen Winkeln unter einer Strickmütze hervor. Als Gem unsicher innehielt, wirbelte ein Windstoß rings um sie Schnee auf. Vom Vorhof ertönte das vertraute Knarren des weißen Schilds mit der Aufschrift Episkopalkirche Saint Gerard, das von einem Baum an der Straße hing. Abgesehen davon und von den Gesängen herrschte Stille in der Umgebung.
Joyce besaß kein Gewicht, trieb schwerelos in der Nacht. Als sie langsam wie vom Dach rieselnder Schnee zu sinken begann, hatte sie kein Empfinden ihrer selbst, ihres Wesens. Die Doppeltür an der Vorderseite der Kirche öffnete sich. Heraus kamen vier Männer. Jeder trug eine Ecke des Altars. Dies war der Abend der Säkularisierung im vergangenen Dezember. Joyce sank noch tiefer. Kurzzeitig erfasste sie die Furcht, ihr Weg hinab würde sich fortsetzen, bis der Schnee sie für immer begrübe. Schützend winkelte sie die Beine an und hielt wenige Zentimeter über dem Boden inne.
Gem , sagte sie. Natürlich erwies sich ihre Stimme als so gehaltlos wie der Rest ihrer selbst.
Gem Davidson verschwamm, streckte sich vorwärts und stand plötzlich an der Vordertür, wo sie mit Paul Brooke redete, während er weiter mit den anderen den Altar zu Mitch Gendreaus offenem Kastenwagen trug. Gem schien den Jungen auszufragen, aber der Großteil ihrer Worte erklang undeutlich, verschwamm in Joyces Verstand. Sie glaubte, Paul lud Gem dazu ein, sich die neue Kirche anzusehen, eine Vermutung, die Gems jäh errötende Wangen erhärteten, doch sie konnte nicht sicher sein. Rings um sie herrschten zu viele Wirren, zu viele Geräusche.
Die Doppeltür schloss sich langsam. Nur ein schmaler Spalt blieb zur letzten Zeremonie in der Saint-Gerard-Kirche offen. Joyce spürte, dass sie sich streckte wie zuvor Gem, dass sie durch die enge Öffnung gezogen wurde, bevor diese sich vollends schloss. Drinnen empfand sie keine Wärme. Sie war nicht real genug, um die Temperatur überhaupt wahrzunehmen. Die Kirche wirkte lebendig durch die dicht gedrängten Menschen, die auf den Bänken saßen. Joyce schwebte wie ein Geist über ihnen. Sie schaute auf, erblickte sich selbst, wie sie sich vom Pastorstuhl an der Seite des Sanktuariums erhob. Ihr zu langer Hals wirkte unter dem Gewicht des Moments – der Schließung einer Gemeinde – leicht gebeugt. Aus dieser Perspektive nahm sie sich als trauervolle Gestalt wahr, allerdings erinnerte sie sich daran, sich keineswegs so gefühlt zu haben. Vielmehr hatte sie in gewisser Weise Erleichterung darüber empfunden, dieses alte Gemäuer, diesen Schandfleck, der die Landschaft ihres Lebens entstellte, endlich abzuschütteln. Für sie und Bec würde es kein Symbol mehr für schlimme Erinnerungen sein. Joyce versuchte, die Augen zu schließen und sich für diese Selbstsüchtigkeit zu schelten, damals wie in diesem Augenblick. Stattdessen flog sie unvermittelt vorwärts, auf ihr anderes Ich zu, bis sie, mit sich vereint, mitten im Sanktuarium stand.
Wir, die wir uns hier versammelt haben , spürte sie mehr, als sie hörte, wie sie aus dem dünnen, schwarzen Buch in ihren Händen las, wissen, dass dieses Gebäude, das dem Wirken von Gottes heiligem Wort und der Sakramente geweiht war, nicht mehr auf diese Weise verwendet wird.
Sie löste sich von sich, ließ die Joyce jener Zeit weiter vorlesen, während ihr spektrales Ich den Blick über die Gemeinde wandern ließ und ihre Tochter erspähte, die mit dem ihr eigenen Halblächeln in der dritten Reihe saß. Bec war für die Zeremonie von ihrer Schule hergefahren, hatte auf ihre gewöhnliche schwarze Kluft verzichtet und stattdessen eines von Joyces konservativeren Kleidern angezogen. Ein seltener Anblick. Joyce wusste noch, dass sie sich darüber gefreut hatte. Geblieben waren ein glänzendes Piercing im Nasenflügel und durch die linke Augenbraue. Irgendwie verlieh der Schmuck dem ansonsten einfachen, in Erdtönen gehaltenen Kleid einen Hauch von Stil. Das Kleid erinnerte an ihre Mutter – schlicht und verbraucht.
Joyce kehrte in sich selbst zurück und spürte, wie
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