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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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seine Frau bis hin zu Eifersucht, während er der lange erwarteten Geschichte von Seyhas Kindheit lauschte. Endlich teilte sie diese so schreckliche Zeit ihres Lebens mit anderen. All die Jahre hatte er versucht, ihr diese Worte zu entlocken, die Tür aufzuzwängen, die sie so vollständig geschlossen hatte. Erst jetzt, in dieser außergewöhnlichen Situation hatte sie sich geöffnet. Es war weder sein noch Joyce Lindus Verdienst. Vielleicht jener Gottes, der Seyha im Wesentlichen fremd war. Allerdings bestand noch eine andere Möglichkeit.
    Ungeachtet des Glaubens, den er von Kindesbeinen an gehabt und seither vertieft hatte, ängstigte ihn jene Möglichkeit. Welchen Namen man dieser Macht verlieh, hing davon ab, wen man fragte. Sofern nicht Gott selbst sie gleichsam als Schocktherapie in diese verzerrte Version der Realität gestürzt hatte, waren sie dann alle, wie Gem vorgeschlagen hatte, der Gnade einer Kreatur ausgeliefert, die sich am Elend anderer weidete?
    Hätte er in jenem Augenblick wählen müssen, er hätte die Umstände Gott zugeschrieben, einem Wunder biblischen Ausmaßes. Später, während des Grauens, das ihnen noch bevorstand, sollte er etwas anderes denken.
    Seyha schien mit ihren Ausführungen fertig zu sein. Die sich hinziehende Stille bot eine Gelegenheit, die Bill vielleicht nie wieder erhalten würde. Die Tür stand einen Spaltbreit offen. Seine eigenen Visionen hatten begonnen, sich düster zu färben, und sie drehten sich ständig um Seyha. Da die Chance bestand, dass sie ein Quäntchen Licht auf ihre Bedeutung werfen könnte, war er bereit zu versuchen, die Tür weiter zu öffnen.
    »Sey«, sagte er zögernd. Dabei massierte er sanft ihre Schulter, als Ausgleich dafür, dass er sie während der Geschichte so fest gedrückt hatte. »Unter Umständen habe ich einen flüchtigen Eindruck davon erhalten, was du durchgemacht haben könntest.«
    Seyha schaute kurz zu ihm, dann rasch wieder hinab auf ihren Schoß. In jenem Augenblick erkannte Bill erneut die kalte Angst. Ihr Mund bildete eine verkniffene Linie. Die Tür schloss sich wieder. Jahre der Gewohnheit hätten seine Frage beinah verhindert, bevor er sie stellen konnte, doch Joyce nickte ihm von der Couch aus zu. Nur zu , besagte die Geste.
    Er räusperte sich. »Es war ein wenig merkwürdig. Ich bin nicht mal sicher, ob es etwas mit deiner Vergangenheit zu tun hatte, aber ... wie auch immer. Wir waren bei einem unserer üblichen, wöchentlichen Einkäufe im Supermarkt, und du hast den Gang gewechselt, wie du es manchmal tust.« Er spürte, dass er in die falsche Richtung steuerte, sowohl instinktiv als auch daran, dass sie sich kaum merklich von seiner Hand zurückzog. Nicht genug, um sich von ihm zu lösen, dennoch war die Warnung unverkennbar.
    Mach weiter, letzte Chance, dachte er.
    »Überall, in jedem Gang, waren Kinder, und sie haben geweint. Ich kann mich nicht erinnern, dass so etwas je wirklich passiert ist, nicht in dieser Form. Die Kinder sind auf dich zugerannt, haben sich auf dich konzentriert . Und unaufhörlich haben sie dabei geweint. Du warst ziemlich verstört deswegen.« Er versuchte, seiner Stimme einen unbeschwerten Tonfall zu verleihen, verspürte jedoch wachsende Panik angesichts Seyhas sich verhärtender Züge. »Kurz, bevor es zu Ende war, hast du gekreischt. Völlig verängstigt. Dabei hatten sich die Kinder nicht in Monster verwandelt, wie man es bei einem üblichen Albtraum erwarten könnte. Nur ihr Weinen war unheimlich laut.« Schließlich zog er die Hand zurück, wütend auf sich selbst. Komm endlich auf den Punkt! Du verlierst sie. Er beschrieb, wie sich die Szene verändert hatte, wie der dunkle Durchgang mit dem Geräusch der Kinder hinter ihr aufgetaucht war.
    »Ich konnte sie nicht sehen, aber es hat sich angehört, als würden all die Kinder aus dem Supermarkt plötzlich vorbeirennen, immer noch unaufhörlich weinend. Ich weiß nicht ...« Weiter kam Bill nicht.
    Seyha vergrub das Gesicht in den Händen. »Aufhören! Bitte, Bill, hör auf.«
    Er setzte dazu an, die Hand nach ihr auszustrecken, überlegte es sich jedoch anders und flüsterte nur: »Es tut mir leid, Sey. Das habe ich gesehen. Nach allem, was du uns erzählt hast, habe ich mich gefragt, ob es vielleicht etwas mit dir, mit deiner Kindheit zu tun hat.« Aufgebracht hob er die Arme und stieß etwas zu laut hervor: »Ich weiß nicht, was ich denken soll.« Die alte Frustration kam wieder auf. Mit den anderen hatte Seyha so ruhig darüber

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