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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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das zweitbeste. Nach dem ›Schusterjungen‹.«
    Wenn die nur den Kümmel weglassen würden, maulte Früchtl.
    »Erinnern Sie sich noch an unser erstes Gespräch, Herr Hauptmann? Die Heiko-Notter-Geschichte? Das war vor zwölf Jahren. Am 27 . Oktober. 1 9 Uhr.« Kleyers Stimme klang jetzt beinahe zärtlich. Für einen Moment sah es so aus, als würde er gleich weinen.
    Wegener glaubte die Kameras zu hören, deren Objektive sich drehten, die ranzoomten, immer näher, auf Kleyers außer Kontrolle geratenes Gesicht, das jetzt im Sekundentakt Emotionen durchratterte, Verzweiflung, Spott, Unsicherheit, Freude, Genugtuung, Rührung, Ekel, alles grimmassierte so schnell durcheinander, dass die Schwarzen im Überwachungsraum bestimmt ratlos vor ihren Monitoren saßen, schon an einen technischen Fehler glaubten, an ein durchgeschmortes Kabel im System, eine kaputte Sicherung im Hochsicherheitsgefängnis, an einen Kurzschluss in Kleyers Hirnkasten.
    Er versucht dir einen Hinweis zu geben, sagte Früchtl.
    Ich versteh ihn nicht, Josef, ich versteh ihn einfach nicht!
    Gib ihm Zeit. Sprich ihn drauf an. Sag was.
    »Das weißt du noch, Toralf? Nach so langer Zeit?«
    »Verrückt, oder?« Kleyer kicherte. »Hab ich mir immer gemerkt, ist der Geburtstag meiner Schwester. 27 . Oktober.«
    »Ich erinnere mich«, sagte Wegener. »Hübsches Mädchen.«
    »Bildhübsch!«
    Sehr gut, sagte Früchtl, mach weiter.
    »Lange her«, sagte Wegener.
    »Wenn Sie mir damals erzählt hätten, dass wir heute hier sitzen, Herr Hauptman n …«
    »Dann?«
    » … dann wär ich vielleicht weggelaufen. Vielleicht hätte ich dann den Mut gehabt. Heute habe ich den Mut und kann nicht mehr weglaufen.«
    Weiter, sagte Früchtl.
    »Wohin würdest du denn laufen, Toralf? Wenn du könntest?«
    »In den Westen, Herr Hauptmann. Wie alle. In den Westen.«
    »Und dann?«
    Kleyer lächelte und zuckte mit den Schultern.
    Schweigen.
    Die Ruhe hier ist keine Ruhe, dachte Wegener, das ist eine künstliche Totenstille. Die Unmöglichkeit aller Geräusche. So muss sich Andreas Jähn gefühlt haben, der Sohn des großen Sigmund, als sein Sicherungskabel riss und er in die Unendlichkeit hineinschwebte, die bedingungslose Verlorenheit von der ersten Sekunde an klar vor Augen, interniert in der eigenen Haut, vakuumverpackt, mindestens haltbar bis siehe Eintritt natürlichen Organversagens.
    Kleyer hob die rechte Hand. »Herr Brendel, viel Glück. Und gute Heimreise, wenn es so weit ist.«
    Brendel sah aus, als ob er etwas sagen wollte, aber er blieb stumm.
    Kleyer lachte ein trockenes Lachen, wie raschelndes Laub, dachte Wegener, ein Odradek-Lachen.
    Brendel stand auf.
    Kleyers Lachen raschelte immer noch in der Stille.
    Wegener erhob sich ebenfalls und zog seinen Mantel an. Er ging auf Kleyer zu, hievte ihn halb vom Stuhl, Kleyer wankte, hing an Wegener wie eine Marionette, deren Puppenspieler gerade erschossen worden ist, die dünnen Arme baumelten über Wegeners Schultern.
    »Die Bedingungen«, flüsterte Kleyer, »ich hab sie erfüllt, Herr Hauptmann, ehrlich, ich hab sie erfüllt, holen Sie mich hier raus, bringen Sie mich nach Bautzen, bitt e …«
    »Ich hab dich angelogen«, flüsterte Wegener, »ich kann nichts für dich tun, Toralf. Gar nichts. Es tut mir leid.«
    Kleyer keuchte, hustete, gluckste, Kleyer klang, als würde er gleich kotzen, Wegener drückte ihn zwanzig, dreißig Sekunden lang an sich, keiner bewegte sich.
    Brendel stand unschlüssig herum und sah auf den Boden.
    Wegener merkte, wie Kleyer sich an seine Jacke krallte, zupackte, so fest er konnte, wir sind ein qualvolles Standbild für Stasiopfer, dachte er, jeder auf seine Weise, und atmete den Duft des Haarwasserfalls ein, das Shampoo hatten sie ihm offenbar gelassen, dann hielt es Kleyer nicht länger auf seinen Zahnstocherbeinen, sein Griff gab nach, er sackte ab, Wegener ließ ihn langsam zu Boden gleiten, machte einen Schritt rückwärts, wandte sich ab, ging zur Tür.
    Brendel folgte schwerfällig.
    Kleyer lag zusammengerollt auf dem weißen PVC, ein blonder Bobtail, dessen Gesicht man unter der Mähne nicht mehr erkennen konnte, eine ächzende Hülle, die jetzt anfing, sich aufzugeben, die ihre letzten Hoffnungen zu Grabe tragen musste, aber nicht wollte, immer wieder glauben würde, sie könnte es noch schaffen, immer wieder aufstehen würde, um zu kämpfen, immer wieder zusammenbrechen, sich hochpeitschen, sich verlieren würde, jeder Tag eine Beerdigung, bis sich irgendwann nichts mehr

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