Plan D
Häftlingsoverall wirkte wie ein Bühnenoutfit, Toralfs blonder Haarwasserfall ergoss sich in glänzenden Wellen auf schmale Schultern, das lang gezogene Arroganzgesicht auf dem zerbrechlichen Kautschukkörper erzählte immer noch von hageren Angehörigen uralter Adelsgeschlechter, die sich ein paar Mal zu oft in der eigenen Familie vergnügt hatten.
»Ihr kennt euch«, stellte Brendel fest.
Die Schwarzen gingen raus, warfen die weiß gepolsterte Tresortür ins Schloss. Kein Schlüsselgeräusch.
»Toralf Kleyer«, sagte Wegener, und versuchte eine Vorstellungsgeste hinzukriegen, »Richard Brendel, ein Kollege.«
Kleyer und Brendel gaben sich halbherzig die Hand.
»Toralf, alte Bohnenstange, das musst du mir mal verraten, wie du das machst«, sagte Wegener fröhlich. Sie haben dich drangekriegt, raunte Früchtl, aber lass es dir nicht anmerken, tu ihnen den Gefallen nicht, zeig einmal in deinem hanebüchenen Leben ein Pokerface. »Du bist so vorbildlich dünn. Und ich trage eine Schürze aus Fett.«
»Weil Sie wahrscheinlich immer noch jeden Tag Hacksteak mit Ihrem Chef essen gehen«, sagte Kleyer und grinste etwas debil. »Plus Lipide, plus Kohlenhydrate.«
Schön wär’s, sagte Früchtl, und außerdem heißt das Pommes-Mayo, du schwuler Biologe.
»Die Zeiten sind vorbei«, sagte Wegener.
»Ist der Alte in Pension?«
»So kann man es auch nennen. Was kriegst du hier drin zu kauen?«
»Nur Graubrot. Graubrot, das noch vor der Wiederbelebung gebacken wurde, wenn Sie mich fragen.«
»Knast ist hart in jeder Hinsicht.«
»Und ich dachte immer, Bautzen sei der pure Luxus.«
»Du bist nicht in Bautzen, Toralf.«
Toralf zuckte mit den Schultern. »Hier redet keiner mit mir. Vor zwei Tagen zum letzten Mal.«
»Deshalb sind wir ja da«, sagte Wegener. »Der Kollege Brendel ist extra aus Westberlin gekommen.«
Kleyers Schlafaugen klappten auf. »Westberlin?«
»Ja.«
»Ihren Ausweis, bitte.«
Brendel drückte Kleyer eine grünliche Plastikkarte in die Hand. Der betrachtete die Karte skeptisch, drehte sie um, gab sie zurück.
Wegener räusperte sich. »Toralf, ich glaube, wir haben nicht viel Zeit. Die Herrschaften, die diese Anstalt leiten, sind vermutlich ein bisschen nervös, wenn sie Gäste im Haus haben.«
»Mit Gäste bin nicht ich gemeint, nehm ich an.«
»In diesem Fall leider nein.«
Kleyer setzte sich auf einen der weißen Stühle. Sein schiefes Gesicht war angespannt. Hinter der hohen Stirn arbeitete es.
»Wie geht’s Juliane?«, fragte Wegener.
»Julia.«
»Oder Julia.«
»Weiß ich nicht.«
»Weil?«
»Sie ist rüber. Letztes Jahr. Russenvisum.«
»Und du bist hier geblieben. Du bombst lieber unser Land kaputt, als mit Julia im KaDeWe Trüffelpastete zu kaufen.«
»Irgendwer muss es ja machen, Herr Hauptmann.«
»Natürlich.« Wegener nickte. »Alles muss von irgendwem gemacht werden. Aber warum von dir?«
Kleyers Mund wurde schmal. »Erstens wissen Sie das und zweitens glaube ich, Sie sehen’s am Ende gar nicht so anders. Oder wann fliegen Sie das nächste Mal in die Karibik?«
Wegener zog seinen Mantel aus, hängte ihn über die Stuhllehne und setzte sich. »Toralf, du warst und bist kein Sozialist, von mir aus musst du auch nie einer werden. Aber illegal publizieren, Häuser besetzen, Flugblätter verteilen, die Vopos verarschen, das ist das eine. Bomben legen ist was anderes.«
Kleyer kämmte sich mit einer Hand den Wasserfall aus der Stirn. »Und was hat mir das gebracht, die Flugblätter, die Samisdat-Scheiße? Unser Land ist seit sechzig Jahren todkrank und die Wiederbelebung war nichts anderes als eine lebensverlängernde Maßnahme, anstatt endlich die Geräte abzuschalten, das sagt doch schon der bescheuerte Begriff! Da hat es den Patienten offenbar längst dahingerafft, wenn man ihn erst wiederbeleben muss, oder?«
»Willst du rauchen?«
»Ja. Danke.«
Brendel holte kommentarlos eine Pappschachtel aus seiner Manteltasche und reichte sie weiter. Kleyer fingerte drei Zigarillos heraus.
»Wenn es die Wiederbelebung nicht gegeben hätte, wäre der Krampf längst zu Ende«, sagte Toralf, »und wir säßen jetzt in München, im Hofbräuhaus bei dreizehn Weizen und würden uns über den ganzen Bockmist kaputtlachen. Wenn ein Land todkrank ist, sollte man es in Frieden sterben lassen.«
»Sind das die Parolen von Alexander Bürger?«
Kleyer ließ sich von Brendel Feuer geben und schmatzte am Zigarilloende wie ein hungriges Baby an der Mutterbrust. Um seinen Kopf
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