Plan D
den Konturen des Sofas herunterfloss.
Die Comicfigur gähnte. »Glaubst du, die haben was gemerkt?«
»Das ist die Preisfrage«, sagte Wegener. »Sie werden sich die Bänder immer wieder anhören, rauf und runter. Wenn ihnen was auffällt, krieg ich es als Erster mit, so viel ist sicher.«
Brendel schnüffelte an seinem Glas. »Die Stasi schnappt Toralf, überprüft ihn und findet raus, dieser Toralf ist ein früherer Polizeiinformant. Seine Kontaktperson warst du. Also lassen sie dich zum Verhör kommen, in der Hoffnung, dass er dir vertraut und was erzählt, was er ihnen nicht erzählt. Ihre Barbiturate können sie ihm nicht reindrücken. Stell dir vor, es kommt in der Hoffmannsache zum Prozess, und der wird vom Westen überwacht. Und vorher hat man Zeugen unter Drogen gesetzt. Dann gute Nacht. Also haben sie sich was von dem Verhör versprochen. Aber was?«
»Wahrscheinlich genau das, was ihr auch wissen wolltet«, sagte Stein, »nämlich: wo ist dieser Gabriel Opitz?«
»Nur das verrät er nicht. Weil er es nicht weiß. Das ist ja der Sinn dieses Systems, gar nichts verraten zu können.«
»So sieht’s aus«, sagte Brendel. »Aber er setzt eine versteckte Botschaft ab, irgendwas mit Schwester, übermorgen, ›Jelzin‹ und Heimkehr. Was will er uns damit sagen? Ich kann nicht mehr denken.«
Wegener stand auf und ging über die knarrende, glänzende Dielenfläche zu den schrankhohen Bogenfenstern. Von hier aus hatte Hoffmann auf sein Spielfeld geblickt, ein tückischer, intriganter Feldherr, das theoretische Wissen des letzten Jahrhunderts im Kopf, einen Plan für dieses Jahrhundert vor Augen, mit dem Ziel, die Stadt zu verändern, in die er einst als westdeutscher Professor gekommen war, die ihm Macht gegeben und wieder genommen hatte, die sich als hartnäckig erwies, die noch nie leicht zu erobern gewesen war und sich auch diesmal sträubte. Die vielleicht, dachte Wegener, den Tod des Eroberers als Preis für die Eroberung verlangte, und eventuell hatte der Spielmacher das ja sogar mit einkalkuliert, sein eigenes Draufgehen als Unterpfand für das Gelingen einer undurchschaubaren Partie, vielleicht war am Ende alles ganz anders, Hoffmann und Bürger identisch, ein und derselbe Stratege, der jetzt posthum seinen Plan zur totalen Vernichtung der total beratungsresistenten DDR ausführte, das Scheitern der Gas-Konsultationen, begleitet von Bombenanschlägen, wirtschaftlicher Pleite und Terrorismus als Plage für ein Land, das nicht auf ihn gehört hatte.
Wegener trank seinen Calvados mit einem Schluck aus. Er merkte, dass ihm sein Instinkt abhandengekommen war, dass das Misstrauen endgültig die Oberhand gewonnen hatte, ein Misstrauen allem und jedem gegenüber, ein Misstrauen, das keine Erkenntnis mehr zuließ, das ihn zum Misstrauer Nr.1 mit Sternchen machte, die sozialistische Krankheit, jetzt hatte sie ihn komplett infiziert, plötzlich konnte er sich alle und jeden mit schwarzer Stasisturmmaske vorstellen, Borgs, Brendel, Kayser, Lienecke, den Doppel- und Dreifachagenten Hoffmann, der Tote als Täter, alles war möglich in diesem Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten.
Wegener ging knarrend in den Nebenraum, holte das Minsk aus der Hosentasche und rief Karolina an.
Das Freizeichen wurde in seinem Kopf zum Schiffshorn, sechs-, sieben-, achtmal röhrte es, und Wegener war heilfroh, dass niemand abnahm, weil er im Grunde keine Ahnung hatte, was man einer Frau sagen sollte, die man liebte und hasste, beruflich wie privat, die man bewunderte und verabscheute, beschämt verabscheute, da man befürchten musste, sie nur zu verabscheuen, weil sie gelernt hatte, auf Martin Wegener zu verzichten, weil man nicht mehr zu ihr gehörte, ein Fremdkörper geworden war, den sie leichten Herzens verraten konnte, der sich längst in einen rapide alternden Gegenstand verwandelt hatte, ungeliebt, zerfressen von Neid und Eifersucht und von der eigenen beschissenen Machtlosigkeit, die einem im Nacken saß wie ein ungewaschener Zwerg mit glühenden Stricknadeln, der jede Stunde sechzigmal zustach un d …
»Hallo?«
»Karolina?«
»Martin! Ich hab versucht, dich anzurufen.«
»Ich weiß. Viel zu tun.«
»Immer noch dieser Mordfall?« Karolina klang unsicher.
»Ja, immer noch der Mord. An diesem Professor. Alfred Hoffmann.«
»Al bert Hoffmann.«
»Ach, Karolina.« Wegener spürte, wie ihn etwas in die Eingeweide biss, ein gemeingefährlicher Bandwurm, der gerade die Darmwand durchbrach und sich in die Bauchhöhle
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