Plan D
blühte eine Rauchwolke auf. Es roch nach Vanille. »Das sind die Parolen jedes denkenden Menschen in diesem Land, Herr Hauptmann, und Alex hat aus Worten Taten gemacht. Das ist alles.«
»Weißt du, Toralf, die Frage ist jetzt: was kannst du uns anbieten?«
»Ist das die Frage?«
»Schon. Du sitzt fest, und ich glaube, man sitzt in unserem Land nirgendwo fester als hier. Ich befürchte sogar, man sitzt in der ganzen SU nirgendwo fester als hier. Und ich kann nichts für dich tun, wenn du schweigst. Ich weiß nicht mal, wo wir sind. Sie fahren uns in geschlossenen Wagen hierher, Toralf, auf Umwegen, obwohl wir Polizisten sind. Dieser Raum, der Stuhl, auf dem du sitzt, dein Graubrot, das existiert in der DDR überhaupt nicht. Alles Luft. Ich glaube auch nicht, dass wir noch mal wiederkommen dürfen, vorher eröffnet Bodo Ramelow eine Goldman Sachs-Niederlassung in Karl-Marx-Stadt. Also, es geht durchaus um die Frage, was du uns anbieten kannst.«
Kleyer starrte auf den Boden. »Was wollen Sie? Zum zweiundzwanzigsten Oktober bin ich schon zweiundzwanzigmal ausgequetscht worden und hab zweiundzwanzigmal mein Maul gehalten. Ich bin kein Verräter.«
»Der Anschlag interessiert uns nicht.«
»Warum sind Sie dann hier?«
Brendel hielt ein Foto von Hoffmann hoch.
Kleyer betrachtete das Bild verständnislos. »Wer ist das?«
»Toralf, komm.«
»Nie gesehen, Herr Hauptmann. Wer soll das sein?«
»Das Opfer eines brutalen Mordes. Heißt Albert Hoffmann. Vor sechs Tagen am Müggelsee erhängt, wie man sieht. Mit zusammengebundenen Schnürsenkeln. Und rat mal, wer uns gesagt hat, du hättest dazu ein paar weiterführende Informationen.«
»Das Christkind?«
»Fast. Dein guter alter Brigade-Kumpel Ronny Gruber.«
»Was?!«
»Du hast mich verstanden.«
Kleyer sah aus wie schockgefroren. »Wie haben Sie Ronny gefunden?«
»Was weißt du, Toralf?«
»Nichts! Ronny glaubt vielleicht, ich hätte damit was zu tun gehabt, aber das stimmt nicht!«
»Ronny war ziemlich sicher, dass du uns helfen kannst.«
Das Inzestgesicht wusste nicht, wohin es sollte, Falten gruben sich in Kleyers blasse Haut und zogen sich wieder glatt, der Mund schwamm zwischen Wut und Angst, die langen Finger griffen wieder in die blonden Haare, sahen für einen Moment so aus, als wollten sie die ganze Pracht vom Kopf reißen, echte Verzweiflung, dachte Wegener, aber er ist kein Mörder, dazu reicht’s bei ihm nicht, er ist in irgendwas reingeraten, und jetzt sitzt er hier und ahnt allmählich, dass die Brigade anders arbeitet, als er dachte, dass er einen Fehler gemacht hat, der ihn sein Leben kosten kann. Im schlimmsten Fall, ohne ihm dabei den Tod einzubringen.
Kleyer sah Wegener an. »Was glauben Sie, wo ich hier bin?«
»Bei der Staatssicherheit. Mehr weiß ich nicht.«
»Die Staatssicherheit sah aber immer anders aus.«
»Weil du bislang beim sichtbaren Teil der Staatssicherheit warst. Das hier ist der unsichtbare Teil.«
Kleyers Hände wühlten im Haarwasserfall. »Können Sie mich hier rauskriegen?«
»Nicht, wenn du uns nicht hilfst.«
»Das ist Erpressung.«
»Das ist ein Angebot.«
»Und wenn ich Ihnen helfe?«
»Dann gibt es eine Möglichkeit.«
»Wie heißt diese Möglichkeit?«
»Bautzen.«
»Fantastisch.«
»Bautzen ist besser, als hier, oder?«
»Alles ist besser als hier.«
»So sehen die Bedingungen aus«, sagte Wegener. »Und?«
Kleyer legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die gepolsterte Zimmerdecke, der blinde Himmel seiner neuen Heimat, dachte Wegener, ein Schwarzes Loch im Land, das jetzt sein Zuhause war, in dem man den Wahnsinn kommen hörte, auf quietschenden Sohlen, wie er stündlich durch die Gänge schlich, ohne die Zellentür zu öffnen, ohne jemals ein Wort zu sagen, gegen das man hätte anschreien können, ohne Fragen und Forderungen zu stellen, ohne mit Strafe zu drohen, ohne Gestalt anzunehmen, nur taubstumme Isolation, nur die eigene Stimme, die irgendwann anfangen würde, mit einem zu reden wie mit einem Fremden, das Selbstgespräch als Vernehmung, das Ego der brutalste Verhörknochen, vierundzwanzig Stunden am Tag ich gegen ich und sonst nichts, nur graue, grausame Stille.
»Die Bedingungen«, sagte Kleyer mit der Stimme eines Mannes, der weiß, dass er seinen Kopf nur aus der Schlinge ziehen kann, wenn er ihn mit einem stumpfen Taschenmesser aus chinesischer Billigproduktion abschneidet, »können mich mal.«
»Stell dir vor, ich treffe die Tage jemanden aus der Familie des Opfers«,
Weitere Kostenlose Bücher