Plan D
zwängte und alles vollpisste mit irgendeinem ätzenden Sekret, das sich sofort in sämtliche Weichteile hineinfraß, Wegener spürte seine Innereien brennen, während ihm ein Schaumstoffhammer im Sekundentakt auf den Schädel knüppelte und einen betäubenden Schwindel erzeugte, dazu hörte er Karolina atmen, direkt in seinem Ohr, unnatürlich laut und mechanisch, als hinge sie an einer Herz-Lügen-Maschine, und Wegener wusste, dass sie jetzt die rehbraunen Augen geschlossen hatte, dass sie sich vor Wut auf die geschminkte Unterlippe biss, dass ihr süßer Kopf rot anlief und noch in einer Stunde rot sein würde, ihre Hände zwei kleine Fäustchen, die gleich auf die Tischplatte losgingen.
»Es tut mir so leid, Martin.« Karolina machte einen Ton, als entweiche die letzte Luft aus ihr. »Wann können wir reden?«
Wegener legte auf. Stand allein im Dunkeln. In der staubigen Pergamentluft, die Wände schwarz von Büchern, lauter gebundene Gedanken toter Autoren, eine gigantische Ablage für unrealisierte Visionen, verworfene Gesellschaftsordnungen, vergessene Philosophien, in die Hoffmann sich mit seinem Posteritatismus nahtlos einreihen konnte, noch ein Gescheiterter, von dem am Ende nichts übrig blieb außer der Dokumentation seines Versagens in Buchform, ein paar nette Gedanken darüber, wie schön es hätte sein können, was möglich gewesen wäre, Lektüre für konjunktivische Könige. So eine Bibliothek, dachte Wegener, ist eigentlich auch nur eine andere Art von Fegefeuer. Ich habe mein Purgatorium, Albert, du hast deins, jedem das Seine, jedem seine individuelle Hölle, maßgeschneiderte Qual, was das angeht, war der nicht vorhandene Schöpfer am schöpferischsten.
Wegener klickte sich in seinen Telefonspeicher bis zum Eintrag MfS-W und drückte auf Wählen.
»Storck.«
»Wegener, Kriminalpolizei. Ich hätte gern Herrn Decker gesprochen.«
»Einen Moment, bitte.«
Knistern.
»Decker. Mit wem spreche ich?«
»Martin Wegener.«
»Was kann ich für Sie tun, Herr Wegener?«
»Generalmajor Wischinsky müsste mich für Überwachungserlasse autorisiert haben.«
»Das ist korrekt, Sie sind autorisiert.«
»Kann ich was telefonisch in Auftrag geben?«
»Selbstverständlich. Jetzt sofort, wenn Sie wollen.«
»Gut, es geht um eine Adresse und eine Telefonnummer.«
»Ich notiere.«
»Die Adresse lautet Colombetstraße, mit c und b, e, t geschrieben, die Nummer ist 34. Drittes Obergeschoss. Brauchen Sie weitere Angaben?«
»Wie viele Personen?«
»Eine Frau. Die Bewohnerin.«
»Das reicht schon aus. Unsere Überwachung umfasst ein Lichtbildprotokoll, ein Tagesablaufprotokoll und eine Liste der Kontaktpersonen.«
»Ok. Die Telefonnummer lautet 11 3 2 0 2 3 3 4 5 3 190.«
»Ich wiederhole: 11 3 2 0 2 3 3 4 5 3 190.«
»Ja, stimmt.«
»Bei der Telefonüberwachung werden sämtliche Gespräche aufgezeichnet, gleichzeitig erstellen wir eine Kontaktliste.«
»Danke. Wie schnell werden die Ergebnisse an mich übermittelt?«
»Das hängt von Ihren Vorgaben ab, Herr Wegener. Wir bieten Ihnen an, Sie bei jeder Bewegung der Zielperson umgehend zu informieren. Bei Bedarf können Sie dann sofort in die Normannenstraße kommen und das Material hier vor Ort einsehen.«
»Können Sie mir den Kram nicht schicken?«
»Leider nein. Das Material darf unser Haus nicht verlassen.«
»Schön. Wiederhören.«
»Tschüssi.«
Wegener legte auf, lehnte seinen Kopf gegen eine Reihe kühler, lederner Buchrücken, dachte, jetzt bin ich Toralf Kleyer, allein im Dunklen, von allen guten Geistern verlassen.
Was würdest du tun, wenn man dich eingekleyert hätte, fragte die Früchtlstimme. Was, Martin, würdest du tun?
Weiß nicht, Josef. Heute bin ich der Betrunkene von uns beiden.
Aber die Stasi anrufen konntest du noch.
Das ist wie Nachtisch, geht immer.
Überleg mal: Angenommen, du bist verloren. Und du weißt das.
Ich bin verloren und ich weiß das.
Red kein Senf, also: Was würdest du tun?
Karolina retten, die Schlampe, die schöne, charakterlose.
Siehste, mein Beinahe-Sohn, siehste, siehste, das ist das wirklich Konfuse am Menschen, starke Liebe macht ihn schwach.
Als Wegener eine Viertelstunde später über die knarrenden Dielen zurück in den Salon schlurfte, wusste er, was die Hausaufgabe war, welchen Sinn das Rätsel eines Mannes haben musste, der sein längst beschlossenes Ende einsah und der trotzdem irgendwie weiterleben wollte, welches Ass der noch im Ärmel hatte, auch wenn er gefesselt in einem
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