Plan D
weder Mauern noch Wachsoldaten noch Terminscheinstempel gebraucht hätte, um sich gegen Eindringlinge zu schützen, es reichte völlig, den Suchenden mit der kompletten Dokumentation des Daseins in diesem Staat allein zu lassen, ohne den entscheidenden Hinweis darauf, wo in dieser Faktengalaxie das eine Schriftstück zu finden sein könnte, auf dem der entscheidende Sachverhalt verewigt wäre, schon wurde jede Recherche aussichtslos, schon war die wahnwitzige Akribie dieses Apparats seine eigene perfektionierte Absicherung, eine bessere gab es nicht, die Wahrung der Macht durch die Masse der Vergehen, der entwendete Brief, der genau dort am sichersten ist, wo er hingehört.
Hydra, du vielfältiger Geizhals, dachte Wegener, du könntest wenigstens mal die Heizung anstellen. Der November kam jetzt durch die Kellermauern, kühle Luft fasste ihm an den Hals, wollte ihm an die Gurgel, erzeugte Gänsehaut. Die Mikrofone waren vermutlich in der Decke versteckt. Die Kameras in den Lampen. Ich kann mich schon wieder von oben sehen, dachte Wegener, auf einem Monitor sechs Zimmer weiter, wie ich schwarzweiß herumhocke und darauf warte, dass mir ein Priester des Informationstempels das entscheidende Elixier gegen chronische Blindheit serviert. Hier unten roch es nicht nach Bohnerwachs, Staub, Zitrusreiniger, sondern nach feuchtem Plastik, nach niemals ausgelüftetem Kunststoffbodenbelag, nach antikem Teppichkleber. Der säuerlich-sachliche Duft der Bürokratie, an den man sich so schnell gewöhnte, dass man ihn nach einer halben Stunde schon nicht mehr wahrnahm.
Das passende Gesicht zu den Ausdünstungen des Teppichbodens kam herein, es saß auf den schmächtigen Schultern eines namenlosen Offiziers der Hauptabteilung Aufklärung und versammelte lauter Anti-Merkmale, Komponenten der Unauffälligkeitskategori e 1, unspektakuläre Nase, langweiliges Kinn, blassblaue Durchschnittsaugen unter einer straßenköterbraunen Allerweltsfrisur. Als Gott an seiner Menschenpresse stand und dich schuf, dachte Wegener, musste er ganz dringend aufs Klo.
»Sie haben am 25.10. zwei Überwachungsvorgänge im Rahmen der bilateralen Sonderermittlung Aktenzeichen B-PPK-88521(S) beantragt«, sagte der Offizier mit der Intonationslosigkeit einer Navodobrostimme, »beide Anträge wurden noch am gleichen Tag von Generalmajor Wischinsky bewilligt.«
Wegener nickte.
»Bei dem von Ihnen in Auftrag gegebenen Überwachungsvorgang wurden aus Sicht der ausführenden Organe keine nennenswerte Observationsresultate erzielt, den Bericht lege ich Ihnen unter der Registernummer 1369/HA-A . F.2011 vor, er liest sich recht kurz. Beiliegend erhalten Sie zum vergleichenden Erkenntnisgewinn die Akte der Zielperson aus den Jahren 2009 und 2010.«
»Moment mal.«
»Ja, bitte?«
»Das heißt, die Person, deren Überwachung ich in Auftrag gegeben habe, wird schon seit zwei Jahren überwacht?«
»Korrekt, das trifft zu.«
Wegeners Hände hielten sich an der Tischkante fest.
Der Offizier schwieg. Er war es offenbar gewohnt, seinen Gästen kleine Schockpausen einzuräumen.
Das wird ja immer besser, sagte Früchtl, gleich kommt noch raus, dass du dich selbst überwachen lässt, Martin, dann beiß ich aber vor Lachen in diesen Stinketeppich.
Das hättest du auch ahnen können, Hauptmann Schlauberger, dachte Wegener ohne den Tisch loszulassen, Bewerbung beim Energieministerium führt zu Routineüberprüfung, Routineüberprüfung führt zu Dauerüberwachung, denn wenn kein konkreter Anlass für eine Observation besteht, gibt es auch keinen Anlass, damit aufzuhören, Paragraf Eins der Stasilogik, dessen Implementierung ein unterirdisches Gewölbe mit Akten gefüllt hatte, ein zweites Berlin, direkt unter der Stadt. Wenn die Karolinaüberwachung wenigstens bedeuten würde, dass Karolina nicht für die Stasi gearbeitet hatte. Dann könnte er jetzt aufstehen und gehen. Aber genau das bedeutete die Karolinaüberwachung nicht.
Wegener nickte.
»Da es sich um Überwachungsvorgänge im Rahmen einer bilateralen Sonderermittlung handelt«, sagte der Offizier, »und diese Vorgänge somit nicht unter das Amtshilfeabkommen fallen, sind sämtliche Informationen, die Sie den entsprechenden Überwachungsprotokollen entnehmen, als geheim einzustufen und als offizielle polizeiliche Ermittlungsbefunde sowie vor Gericht generell unzulässig. Sie dienen ausschließlich dazu, Ihnen neue Ermittlungsperspektiven zu eröffnen, die im Erfolgsfall mit herkömmlichen Beweismitteln nach
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