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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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Pipelineputze. Du kennst den ganzen Laden. Und du bist die Einzige, die ich kenne, die den ganzen Laden kennt.«
    »Den ganzen Laden kenne ich nicht«, sagte Karolina, »der ganze Laden ist ein Monster, das jeden Tag größer wird.«
    »Aber die gut gekleideten, altgedienten Führungskräfte kennst du als anständige Gas-Nutte schon.«
    Karolina seufzte, nahm das Foto vom Tisch und hielt es sich vor die Augen. Rostrot lackierte Fingernägel. Passend zur Haarfarbe. Passend zur Handtasche. Wegener erschrak. Er merkte erst heute, unter einer tropfenden Markise am Alex, im funzeligen Licht der abgewrackten, hellblauen Wohnwagenpommesbude von Wurst-Wilfried, neben einem glühenden Heizsoldaten, dass Karolina nicht mehr dieselbe war wie vor einem Jahr. Vielleicht hatten die Ministeriumsmenschen sie verändert. Oder ihr Aufstieg. Vielleicht musste man Fingernägel und Handtaschen als Fachbereichsleiterin auf die Haarfarbe abstimmen. Vielleicht wurde man befördert, wenn man besonders häufig sozialistische Farbtöne trug. Karolina war härter, kühler, perfekter als früher. Karolina war erfolgreicher. Karolina war noch schöner. Karolina war so weit weg wie nie. Und doch genau so nah wie immer.
    Wegener wandte sich ab, ging zu der Verkaufsluke und ließ sich noch ein Bier geben. Als er zurück an den Stehtisch kam, lag das Foto mit dem Gesicht nach unten auf der gelben Wachsdecke.
    Karolina kaute.
    Wegener trank.
    »Leider nein. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er mir aufgefallen wäre, wenn er im Ministerium gearbeitet hätte.«
    »Wegen seines Alters?«
    »Wegen seines aparten Kinnbarts.«
    »Ok.« Wegener steckte das Bild wieder ein. Er konnte sich nicht gegen eine kleine Enttäuschung wehren, die irgendwo in seinen Gedärmen erwachte und jetzt langsam aufstieg. Karolinas Gedächtnis war eine ihrer schärfsten Waffen. Wenn sie den Alten nicht erkannte, hatte sie ihn tatsächlich nie gesehen. Damit wurde ein simpler Zusammenhang mit den Konsultationen unwahrscheinlich.
    Karolina starrte auf ihre Currywurst. Schob mit der Holzgabel einen Wurstzipfel durch die Pappschale. Dann sah sie ihn an. »Und jetzt?«
    »Morgen gehe ich zu Gevatter Borgs. Der gibt mir eine Verschwiegenheitsverpflichtungserklärung aufgrund Sonderermittlungsstatus-was-auch-immer, und ich bin raus.«
    Karolina spießte das letzte Stück Wurst auf. »Ist sicher besser so.«
    »Ganz bestimmt sogar.« Wegener trank noch einen Schluck Bier.
    »Irgendwie macht mich die Sache nervös.« Karolina klang ängstlich. Ihre Wangen leuchteten, der Heizsoldat spiegelte sich als glühender Punkt in den braunen Augen, der linke Mundwinkel war mit Currysoße verschmiert. Wegener musste sich zwingen, nicht nach der Serviette zu greifen und den Soßenfleck wegzuwischen.
    »Warum bist du so sicher, dass das K5 den Fall übernimmt?«
    Wegener zuckte mit den Schultern.
    »Martin, ich kenne diesen Blick. Ich will wissen, worum es hier geht.«
    »Kann gefährlich sein, das zu wissen.«
    »Nicht gefährlicher, als mit hormongefluteten, kokainsüchtigen Russenkindern Gasgeschäfte zu machen.«
    Wegener lächelte.
    »Komm schon.« Karolina sah ihm in die Augen. »Du weißt, was wir uns geschworen haben. Und wir haben uns auch geschworen, dass unsere Trennung keinen Einfluss darauf haben wird.«
    »Die wird nie irgendeinen Einfluss haben.« Wegener merkte, dass er das Wort Trennung immer noch nicht aussprechen konnte. »Radikales Vertrauen in radikalen Zeiten.«
    »Radikales Vertrauen in radikalen Zeiten«, wiederholte Karolina und nahm seine Hand. »Also?«
    Wegener drehte sich um. Sie standen allein an der Bude. Wurst-Wilfried sortierte irgendwo im Hintergrund Bierflaschen. Glas schlug gegen Glas. Die GOLDKRONE-Leuchtreklame am Fernsehturm blinkte verwaschen, das EastSide-Hotel ragte wie eine glitzernde Riesengurke in die Dunkelheit, der stramme Devisendödel, tagtägliche Erinnerung an die grenzenlose Potenz der Markwirtschaft. Auf dem Plasma-Mega-Poster an der Frontfassade lief eine Werbung für das neue Phobos Flux Cabriolet, jetzt mit integriertem Navodobro und Anschlussvorrichtung für den Musikus-VI und andere MP3-Player: Das neue Flux-Cabriolet von Phobo s – und Sie haben endlich kein Dach mehr über dem Kopf. Ein paar Männer rannten durch den dichten Hagelvorhang in Richtung S-Bahn, gebückt, die Mantelkrägen halb über den Kopf gezogen. Von der Markise tropfte Wasser aufs Pflaster. Zwei Wurststücke schwammen in einer dunklen Pfütze wie überdimensionale

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