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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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nichts.«
    »Können sie haben.« Karolina nahm ihre Handtasche. Sie küsste Wegener halbherzig auf die Wangen, links, rechts, links, als stünden sie vor einem Pariser Straßencafé und nicht vor einem alten Wurstwohnwagen am Alex.
    »Lässt du meine Gasrechnungen verschwinden?«
    »Sobald du ein aufrechter Sozialist geworden bist.« Sie lächelte, dann drehte sie sich um und ging.
    Wegener sah ihr nach, wie sie davontrippelte, ein perfekter Arsch in perfekter Bewegung. Seine Hand lag alleine auf der gelben Wachsdecke, ein zäher, ausgespuckter Essensrest, den Wilfried gleich abräumen würde, weg damit in den Schweine-Eimer. Der Hagel ging in Regen über. Wegener kaufte noch ein Bier.

5
    B erlin leuchtete sich aus hunderttausend hellen Punkten zusammen, breitete sich aus, wucherte in die Fläche. Kein Fleck, an dem es nicht war. Straßen krümmten sich zu Lichterketten, kreuzten sich, ergaben einen verwirrenden Stadtplan, ein asymmetrisches Spinnennetz, das zu den Rändern blasser wurde und sich in der Ferne verlor. Die Karl-Marx-Allee und Unter den Linden bildeten sture, gelbliche Geraden. Kleine Sprenkel modellierten die verschachtelte Hochhauswelt von Marzahn an den Horizont, nebenan stapelten sich die Westberliner Bürogebäude, schlanke Schuhkartons, von irgendwem einfach abgestellt und noch fast komplett erleuchtet. Der scharfgestochene, elektrifizierte Pointillismus deutete überall Konturen an, überlagerte Häuserzeilen, Plätze, Türme, zog Lücken ein, fädelte S-Bahn-Trassen durch diese schemenhafte Stadt, tauchte sie auf, tauchte sie ab. Kuppeln erhoben sich aus der Nacht, der Gendarmenmarkt, die neue Synagoge, der Riesendom, glänzende Beulen auf einem unendlichen, dunklen Körper. Der Palast der Republik schimmerte honigfarben, eine kantige Schatzkiste, die Säulen seines Lichterdoms wuchsen steil nach oben und verloren sich irgendwo im Nebel. Das halbfertige Rohbaumonster des Metropol-Palais an der Friedrichstraße wurde von Scheinwerferbatterien grellweiß geflutet. Mitten durchs Bild zog sich die lange, gleißende Narbe der Sektorengrenze, die alles nach Himmelsrichtungen aufteilte, die sich überall durchschlug, die das dünne Spinnennetz in zwei Hälften riss, gezackt, unbarmherzig, angestrahlt wie ein schlauchförmiges Spielfeld, stadtlang, für welche Triumphe und Niederlagen auch immer.
    Wegener drehte sich über diesem Moloch. Wegener drehte sich um sich selbst. Wegener merkte, dass sich sein Kopf drehte. Kreisen war die Wegener-Bewegung, Kreisen führte garantiert zu nichts, aber ganz am Ende wenigstens wieder zum Ausgangspunkt. Wenn ich dieser Ausgangspunkt bin, dachte Wegener, dann führt mich das Kreisen vielleicht zu mir.
    Unter ihm regnete es in langen Fäden auf den Alexanderplatz. Die Wurstbude, an der er vorhin mit Karolina gestanden hatte, war nur noch ein Punkt. Im Berolina-Haus erloschen die Lichter. Eine S-Bahn kroch aus ihrer halbrunden Höhle in die Nacht wie eine müde Schlange und verschwand Waggon für Waggon hinter dem EastSide-Penis. Auf dem Megaposter leuchtete die Wirtschafts-Weisheit für den 20 . Oktober 2011 in weinroten Buchstaben:
    FORTUNA IST BLIND
Marcus Tullius Cicero
    Wegener stellte sich die beiden Gas-Russen vor. Die saßen jetzt in irgendeiner Bar am Prenzlauer Berg. Vielleicht im VEBierstube oder im Dynamischen Wachstum . Oder direkt gegenüber im EastSide, in der einzigen Kapitalismusenklave der Sozialistischen Union, in diesem erigierten Bonzenbunker, den Ostdeutsche nie von innen zu sehen bekamen, von dem nur Gerüchtehappen abfielen über Orgien, Drogen, Millionengeschäftsfressen. Für Gas-Russen gelten Westregeln, dachte Wegener. Da drüben hocken sie in diesem Moment mit Wodka und Nutten. Oder mit Wodka und Gas-Nutten. Er versuchte, nicht darüber nachzudenken, ob Karolina diese Typen vögeln musste, als Gleitmittel für den Abschluss schmieriger Verträge. Er wollte nicht wissen, ob sie für jeden Deal unter einem dieser zugekoksten Jüngelchen landete, die Ostberlin für ihr privates Bordell hielten und Karolina ein gebrochenes Änders! ins Ohr stöhnten, wenn sie abspritzten. Er verbot sich die Frage, ob Karolina ihren Fachbereichsleiter gevögelt hatte, um Fachsbereichsleiterin zu werden. Ob es zu ihrem Job gehörte, im Bett mit irgendwelchen Eon-Arschlöchern die besten Vertragskonditionen für ihr Volk rauszuschlagen. Woher sie den Westmantel, die Westhandtasche, die Weststiefel hatte. Ob ihre Energiekonzern-Lover sie baten, alle

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