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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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seine lädierte Frisur in Form zu bringen. »Vertraust du denen?«
    »Brendel und Kayser?«
    »Genau.«
    Wegener ließ seine Beine wieder vom Schreibtisch rutschen. »Frank, ich hab mir das Vertrauen so ziemlich abgewöhnt. Ich weiß gar nicht mehr, wie das geht. Ich höre, was die sagen, und ich finde es vernünftig und zielorientiert und alles, ich hab keinen Grund, an den beiden zu zweifeln. Aber wenn du mir jetzt verrätst, dass du gerade einen Tunnel gräbst und in einem Monat drüben bist, dann würde ich das weder Brendel noch Kayser erzählen. Einfach, weil man nie hundert Prozent sicher sein kann. Du weißt das, ich weiß das.«
    »Aber 9 9 Prozent gibst du den beiden.«
    »8 9 Prozent. Also Höchstnote. Du nicht?«
    Frankenstein war mit seiner Frisur fertig. »Mir ist nur aufgefallen, dass du Brendel duzt.«
    Wegener lächelte. »Du findest, dass ein du Vertrauen ausdrückt?«
    »Du nicht?«
    »Nein. Ich finde, es macht das spätere Gespräch über den Vertrauensbruch einfacher. Du hast mich von vorn bis hinten beschissen klingt nicht so albern wie Sie haben mich von vorn bis hinten beschissen .«
    »Immerhin, dein Zynismus tut’s noch«, sagte Frankenstein im Rausgehen und zog vorsichtig die Tür zu.
    Dir würde ich es verraten, Karolina, dachte Wegener, falls Franky sich demnächst nachts mit einem Spaten nach Westberlin durchkämpft, dir würde ich es beichten, wenn ich Fischer-Hoffmann höchstpersönlich an seine Pipeline gebunden hätte, alles würde ich dir erzählen, ich würde dir sogar erzählen, dass ich dich immer noch rücksichtslos liebe, dass ich beim Rasieren, beim Onanieren, beim Frittieren an dich denke, weil alles, was mich zu Martin Wegener macht, mit dir besser erträglich war als mit irgendjemandem sonst. Gegen meinen Willen, gegen meine Absichten, gegen alle Prinzipien würde ich dir anvertrauen, dass du dein Leben lang auf mich zurückgreifen kannst wie auf eine fristlos entlassene Strickjacke aus den 80ern, die eines Tages nicht mehr gut genug war, die vielleicht wirklich ein wenig kratzte und die jetzt geduldig im Schrank ausharrt, denn vergiss nicht, mein erkalteter Energieengel, die verabschiedeten Dinge werden mit wachsendem Abstand immer schöner, sie blühen im Altern auf, sie warten sich attraktiv, das ist ihre subtile List, sie sind plötzlich wieder da und sofort unwiderstehlich, weil sie dir etwas Vertrautes zeigen, in einer Welt, die dir täglich wie ein neues Ausland vorkommt, sie sind ein Heimatsignal, sie bieten die Möglichkeit zur Rückkehr inmitten von lauter Vorwärts, und deine lebenslange, persönliche, sture Strickjacke bin ich, Karolina, und ich verspreche dir, ich werde immer diese sture Strickjacke für dich sein, ich wärme bei Bedarf und ich halte durch, so gut ich kann, nur eins musst du mir sagen, damit ich das schaffe: Warum hast du mich gestern zum ersten Mal, seit wir uns kennen, angelogen?
    Wegener nahm sein Minsk, öffnete eine TNT, schrieb ich muss dich sehen, radikales Vertrauen in radikalen Zeiten und drückte auf Versenden.
    Dann starrte er auf die Wand seines Büros. Die Wand hatte zwei Risse. Ein Riss lief von rechts oben nach links unten. Der andere von links oben bis zur Wandmitte. Zusammen ergaben die beiden Risse ein Ypsilon. Von diesem Ypsilon konnte er plötzlich nicht mehr wegsehen. Auf diesem Ypsilon konnte sich sein Blick ausruhen, auf dieses Ypsilon starrend, konnte er sich selbst ausruhen, konnte die ganze Bagage für eine Weile vergessen, von Frankenstein bis Braun, von Brendel bis Borgs, samt den endlosen Fragen, die ihm andere stellten und die er sich selbst stellte, diese lebenslange Suche nach Antworten und dann nach neuen Antworten und dann nach noch neueren Antworten und so weiter und so fort.
    Als ein paar Minuten später sein Minsk vibrierte und eine TNT meldete, genoss er es minutenlang, nicht nachsehen zu müssen und die Antwort trotzdem zu kennen.

17
    W egener horchte in sich hinein. Prüfte, ob er etwas spürte. Genugtuung vielleicht. Oder Hohn. Oder etwas so Obskures wie gekitzelten Nationalstolz. Aber nichts tat sich auf. Nichts schmerzte, stachelte an, wurde spürbar. Er starrte mit dem gleichen empfindungslosen Blick auf die riesige goldverspiegelte Fassade mit dem reihenhausgroßen Loch wie vorhin auf den Ypsilonriss in seinem Büro. Das Flutlicht der Technischen Brigade setzte blendende Leuchtpunkte auf die Goldwand, lange Scheibenbruchstücke wurden von schwarzen Zwergen weggetragen, reflektierten immer wieder

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