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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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Pipeline«, sagte Wegener, »wozu passt die?«
    Brendel drehte sich zur Gasleitung um, betrachtete sie sekundenlang, schüttelte den Kopf. Dann nahm er den Schlüsselbund aus der Tüte, wich ein paar Brombeerranken aus und bahnte sich einen Weg über die Lichtung zur Haustür. Wegener blieb hinter ihm.
    Eine Brigade DDR-Spinnen musste an Hoffmanns Datsche ihren persönlichen 5-Jahres-Plan abgearbeitet haben: Die fleckigen Holzwände waren von glitzernden Netzen bedeckt. Brendel suchte den ältesten und längsten Schlüssel aus, prokelte damit im Schloss herum, drehte. Der Schlüssel griff. Ein Riegel klackte. Die Tür schwang mit leisem Quietschen in den dunklen Raum, als würde sie gerade von innen geöffnet. Muffige Luft. Plastikgeruch. Die Fensterläden malten verzerrte Lichtgitter auf den grauen PVC-Boden. Wegener erkannte die Umrisse von Sesseln, einem Kanonenofen, Schemen eines Schranks. Der hintere Teil des Zimmers lag im Dunklen. Niemand zu Hause.
    Brendel hatte seinen Koffer aufgeklappt, holte zwei Schutzanzüge, Handschuhe, Plastikbeutel und eine Kamera heraus. Ich bin nackt und ich bleibe nackt, dachte Wegener, während sie in die Anzüge stiegen, und Brendel zieht sich mit jedem Tag mehr an, wird immer bekleideter, immer geschützter, der hat nicht nur seine undurchdringliche Gesichtsmaske, der hat auch einen wachsenden Fundus an Kostümen, das Kommissarskostüm, das Kumpelkostüm, das Kompetenzkostüm, das Karolinaliebhaberkostüm.
    »War ein Foto von ihr in der Akte?«
    »Ja.«
    Es traf Wegener wie ein Stich, dass Brendel sofort verstand, wonach er gefragt hatte. »Gut getroffen?«
    »Ich fand schon.«
    »Einer Frau hinterherzutrauern ist die Hölle, aber einer Schönheit hinterherzutrauern ist die mittelalterliche Folterkammer der Hölle.«
    »Einer verstorbenen Frau hinterherzutrauern ist vielleicht noch schlimmer. Aber manchmal sicher auch leichter.«
    Wegener sah auf.
    Brendel zog den Reißverschluss seines Anzugs zu. »Wenn wir die Spurensicherung anrufen, sollen die einen Bolzenschneider mitnehmen. Für das Schrankenschloss.«
    »Ich richte es Frank aus.«
    »Martin, mir ist wichtig, dass du mir das glaubst.« Brendel fummelte immer noch an seinem Reißverschluss herum. Wegener streifte die Handschuhe über.
    »Ich habe deine Abhörprotokolle nicht gelesen. Und ich möchte nicht, dass du glaubst, dass ich sie gelesen habe.« Brendels Blick blieb für eine Sekunde an Wegeners hängen, dann drehten sie sich gleichzeitig in Richtung Waldweg um.
    Das Knattern kam näher, wurde lauter, Vogelgeschrei, ein weißer Phobo s II mit roten Ralleystreifen tauchte hinter den Stämmen auf, rumpelte bis zur Weggabelung und bremste scharf.
    Wegener und Brendel standen regungslos.
    Der Wagen starrte sie mit seinen runden Doppelscheinwerfern an. Die Sonne spiegelte sich in der Frontscheibe.
    Dann krachte das Getriebe. Der Rückwärtsgang jaulte. Die Räder drehten durch. Eine Staubwolke wuchs in Sekundenschnelle unter dem Wagen heraus zwischen die Baumstämme wie ein kleiner, beigebrauner Atompilz.

16
    D er Mecklenburger Dreck schmeckte erdig-bitter, brannte in den Augen, wurde zur staubtrockenen Pumpe, die den Lungen die Luft absaugte, kroch überallhin, in die Ohren, in die Nase, in jede Pore. Wegener sah Brendels rennenden weißen Schutzanzug vor sich, eine bizarre Mischung aus Astronaut und olympischem Sprinter, die angewinkelten Arme schnellten im Laufrhythmus vor und zurück, er sah seine eigenen Beine, zwei Plastikwürste, die nach vorne flogen, nach hinten wegklappten, immer abwechselnd in den dumpfen Sandboden hämmerten wie konditionslose Klöppel einer völlig sinnlosen Maschine, der Rückwärtsgang des flüchtenden Phobos kreischte in seinem Kopf, hatte sich bis zum schrillsten aller Töne gesteigert. Brendels weißer Anzug bewegte sich in der wachsenden Staubwolke wie in einer schmutzigen Blase: ein Dauerläufer auf einem Wüstenplaneten, ein Space-Sheriff im Sandsturm, verzweifelt kämpfend und doch ohne Chance, das Ziel zu erreichen. Wegener spürte, wie sein Magen sich zusammenkrampfte, wie seine Lungen brannten, wie die weißen Plastikwürste unter seinem Oberkörper vor Anstrengung taub wurden, wie diese wabbeligen Schläuche ihre letzte Kraft verspielten, zu lahmen begannen, Arbeitsverweigerung, sollten doch die Kapitalistenbeine Überstunden machen, die Ostoberschenkel bestimmt nicht, Tagesvorgabe erfüllt, Feierabend, nach uns die Sintflut.
    Brendel verschwand hinter der Biegung, Wegener lief

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