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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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sein könne n – und ihr wir.
    Tatsachen kann man nicht ändern. Der Mensch hat keinen Einfluss auf die Vergangenheit, sosehr er das auch wünschen mag. Aber die Zukunft liegt zu jeder Sekunde in unseren Händen. In euren Händen! Wenn ihr dem Sozialismus den Rücken kehrt, waren die Verzweiflung, der Glaube und das Leid eurer Väter und Großväter, Mütter und Großmütter umsonst, dann waren Jahrzehnte des sozialistischen Kampfes vergeblich, und glaubt mir, auch wenn ich diesen Kampf auf der anderen Seite der Grenze gekämpft habe, ich weiß, wie hart und entbehrungsreich dieser Kampf für euch und eure Familien war, welche Rückschläge er mit sich brachte, wie viel Unrecht und Schikane ihr vor der Wiederbelebung erdulden musstet. Und ich weiß auch, dass ihr euch in den letzten zwanzig Jahren schnellere Veränderungen gewünscht hättet, radikalere Reformen, dass ihr ungeduldig seid und euch fragt, wie lange es denn noch dauern soll, bis ihr endlich ein Leben führt, das all die Freiheiten bietet, die wir im Westen vermeintlich schon so lange genießen.
    Aber täuscht euch nicht. Wir Westler sind die wahren Sklaven der letzten sechs Dekaden unserer Zeitrechnung, wir sind die Unfreien, die Unterdrückten. Wir dürfen reisen, ja, wir können kaufen, was wir wollen, natürlich, den dritten BMW, die siebte Uhr, das fünfzigste Paar italienische Schuhe, aber um welchen Preis? Glaubt nicht, dass der Großteil der Menschen, die ihr immer beneidet habt, glücklich ist. Glaubt nicht, dass diese Menschen ein erfülltes Leben führen, am Ballermann und in den Shopping-Malls und vor ihren gigantischen Fernsehern, die genau so flach sind wie alles, was sie zeigen, 55-Zoll-Spiegel ihrer verlorenen Seelen, bis an den Rand gefüllt mit Hampelmännern wie Mario Barth und Tine Wittler und Carmen Nebel, mit amerikanischem Abfall, schäbigem Schnellschnell, Fastfoodfernsehen, bei dem Reinziehen und Ausscheiden zum simultanen Prozess werden, seichte Ablenkung vom eigenen Menschenmülldasein, die selbstgezappte Vorstufe der Matrix. Diese Zuschauerzombies sind die Knechte des Kapitals, immer auf der Jagd nach Mehr und dann nach noch Mehr, brav begehrend, was sie von den Werbeblockwarten vorgekaut kriegen, um den Preis ihrer Freiheit, Gefangene in einem Hamsterrad der Statussymbole und Ersatzbefriedigungen. Sie überschulden sich, sie sind unfähig, ihre Gier zu zügeln, süchtige Opfer der Oberflächlichkeit, und das wäre vielleicht alles noch hinnehmbar, das fiele vielleicht alles noch unter die Autarkie des Individuums, das sich selbst unglücklich machen darf, aber, Genossinnen und Genossen: Ich habe in diesem Tollhaus gelebt, nicht, weil ich dieses Tollhaus wollte, sondern weil ich es verändern wollte, und ich habe tausendfach gesehen, was der Kapitalismus mit den Menschen mach t – er stumpft sie ab, er saugt ihnen das erbsengroße Resthirn aus und rückt den Besitz, den immergleichen Tand, den plumpen Geldgott an die Stelle dessen, was zählt. Er tötet das Mitgefühl, das Gerechtigkeitsbewusstsein, den Wunsch nach wahren Werten, er tötet sogar den Anstand, und damit tötet er am Ende den Menschen selbst. Nicht der Millionär hilft seinem verarmten Nachbarn, der verarmte Nachbar hilft im Zweifel dem Millionär. Während die Millionäre nicht mal ihresgleichen helfen. Weil sie alle Schaeffler sind, verblendete Egomanen, die am liebsten den Ausgabeschlitz ihres Bankomaten beschlafen würden. Weil das Leid des Armen für den Millionär längst abstrakt geworden ist, zu weit weg, um es zu verstehen, die Sorgen einer anderen Spezies, die Probleme eines fremden Planeten. Der Mammon macht den Menschen zum dumpfen Androiden, der die anderen für dumpfe Androiden hält. Leeres Wort: des Armen Recht, leeres Wort: des Reichen Pflicht, hat Luckhardt übersetzt. Solidarität gibt es nur unter Gleichen. Wir können wünschen, dass das anders sein möge, aber es ist nicht anders und wird niemals anders sein.
    Und deshalb brauchen wir den Sozialismus. Nicht, weil wir so freiheitsfeindlich sind, dass wir nicht sämtlichen Idioten ihr Idiotentum gönnen würden, die Verschwendung des einzigen Lebens, das sie besitzen, auf geht’s, rufen wir ihnen noch fröhlich und hoffnungsvoll zu, rubbeldiekatz, bringt euch um euren kümmerlichen Verstand, bringt euch um eure Würde, bringt euch um eure Zukunft, bringt euch um, ihr kulturlosen Egoisten, ihr begrenzt sprachfähigen Tiere, ihr hanebüchenen Organansammlungen, je schneller das

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