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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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der Rockies und holte es im nächsten Frühling wieder ab.
    Die meisten fuhren in von Ochsen gezogenen Planwagen. Doch viele in den letzten Gruppen – einschließlich 3.000 frischgebackener Mormonen aus England, Wales, Schottland und Skandinavien, wo die Mormonen schon damals missionarisch tätig waren – hatten überhaupt kein Geld mehr. Sie kamen nicht in Planwagen, sondern mit Handkarren. Das reduzierte die Reisekosten um ein Drittel. Brigham Young selbst hatte sie entworfen: große zweirädrige Handkarren, die man zu mehreren schieben oder ziehen konnte. Je fünf Menschen bekamen eine davon. Sie gingen nebenher, wechselten sich mit dem Ziehen ab und schliefen in Zelten. Einer berichtete: »Die Leute machten sich über uns lustig, wenn wir unsere Handkarren hinter uns herzogen, aber das Wetter war gut und die Wege ausgezeichnet, und obwohl wir nachts erschöpft waren, dachten wir trotzdem: Das ist eine herrliche Art, nach Zion zu ziehen.«
    Wenn sie ankamen, hatten die Mormonen ihre Gemeinde, auf die sie sich verlassen konnten: Eine durch und durch strukturierte Organisation mit starken sozialen Komponenten. In Notzeiten war die Kirche verpflichtet, dem Einzelnen unter die Arme zu greifen.
    Das galt aber nur für die Mormonen. Die anderen Pioniere, die ankamen, hatten niemanden. Für sie gab es kein »Gesundheitswesen«, keine »Arbeitslosenunterstützung«, keine »Subventionen«, kein soziales Netz. Außer dem einen: der Familie.
    Im Nordosten und im Süden hat die Familie einen althergebrachten Stellenwert, mehr aber auch nicht: Die großen Sippen mit ihrer langen Geschichte ähneln elitären Clubs, durch die man vor allem Vorteile hat: Beziehungen, Geld, die richtige Uni. Die Familie, ja oftmals Dynastie, ist ein soziales Sprungbrett.
    Im Westen jedoch ist die Familie nichts weniger als eine Religion.
    Wenn amerikanischen Popkünstlern eine Botschaft besonders am Herzen liegt, dann ist es eine wie »The family of man« oder »We are the world, we are the children«. Die amerikanische Popgeschichte ist geprägt von Familiencombos, von den Andrew Sisters, den Jackson 5 und den Carpenters bis hin zu dem ehemals verheirateten Duo The White Stripes, bestehend aus Jack und Meg White, die sich lange Zeit als Geschwister ausgaben.
    Man sagt, Europäer machten Filme über Singles, die Amerikaner aber Filme über Familien, und es stimmt: Auch in Movies und TV -Serien, die oberflächlich betrachtet nichts mit dem Thema zu tun haben, kann man überall »Familien« im weitesten Sinne finden. In Friends , der Sitcom über eine New Yorker WG , sahen wir Woche für Woche nicht, wie die sechs Mitbewohner ihre Karriere und ihr Liebesleben voranbrachten, sondern wie sie daran arbeiteten, ihre Beziehungen und die Harmonie untereinander zu verbessern. Obwohl sie einander eigentlich fremd waren und nicht mehr als … na ja, Mitbewohner. Von Golden Girls über How I Met Your Mother bis hin zu Two and a Half Men gibt es kaum eine Sitcom, die nicht versteckt oder offen von der Familie handelt. Selbst die sozialen Strukturen in Matrix stehen in gewissem Sinne für eine aufregende Ersatz-Familie. Und man kann sogar argumentieren, dass der andere amerikanische Held, der »Lone Wolf« – der Einzelgänger, der es mit der ganzen Gesellschaft aufnehmen muss, wie das in vielen Clint Eastwood-Filmen der Fall ist –, uns gerade deswegen so interessiert, weil hier die Familie fehlt.
    Die Achtung vor der Familie ist jedoch nicht nur im Westen und nicht erst seit dem 19. Jahrhundert hoch. Schon Alexis de Tocqueville schrieb: »Es gibt sicher kein Land auf der Welt, wo die Ehebindung höher respektiert oder wo Glück in der Ehe höher geschätzt wird.« Das gilt noch heute: In Amerika wird deutlich mehr und früher geheiratet als in allen europäischen Staaten.
    Wenn eine erzkonservative politische Lobbygruppe oder ein erzkonservativer Prediger Zuhörer, Applaus und Geld wollen, fügen sie einfach überall die Schlagwörter »family« oder gar »family values« – »Familienwerte« – ein, und der Rubel rollt.
    Das »Family Research Council« zum Beispiel zählt heute zu den wichtigsten Lobbygruppen in Washington und war unter George W. Bush noch einflussreicher. Gegründet wurde es von James Dobson, einem stark konservativen »Southern Baptist« Prediger aus Louisiana. Alles, was die Familie bedroht, ist diesem Mann ein Dorn im Auge: die Homo-Ehe, Abtreibungen, Scheidungen, Embryonen-Stammzellen-Forschung, Pornos, Kondome und Sexualkunde

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