Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
geprahlt, er könne eine Krähe in der Luft erlegen. Hickok soll geantwortet haben: »Hatte die Krähe eine Pistole bei sich? Schoss sie zurück? Das werde ich nämlich tun.« Hickok war übrigens am ersten dokumentierten Duell im Westen beteiligt, bei dem sich die beiden Männer auf der Straße tatsächlich direkt gegenüberstanden. Allerdings nicht frontal wie im Kino, sondern im Profil, und die Pistole erhoben sie seitwärts; sie duellierten sich also im europäischen Stil.
Es gibt einen Grund für den merkwürdigen Umstand, dass die meisten bekannten Duelle nicht zwischen berühmten Revolverhelden stattfanden, sondern zwischen einem Berühmten und einem Unbekannten. Revolverhelden neigten nämlich dazu, einander diskret aus dem Weg zu gehen. Die meisten Gunfighters, darunter auch Billy the Kid und Wild Bill Hickok, starben denn auch durch eine Attacke aus dem Hinterhalt.
Die wichtigste Waffe eines Revolverhelden war Mundpropaganda. Wild Bill Hickok wurde nur aufgrund eines einzigen Revolverduells berühmt. Sein Geheimnis: Ein paar Wochen später wurde er für Harper’s New Monthly Magazine interviewt, und in dem Artikel war er plötzlich der Killer von Hunderten von Männern. Es ist unklar, ob der Journalist übertrieb oder Hickok selbst. Nicht nur in seinem Fall glauben Historiker, dass die meisten überlieferten »Heldentaten« äußerst zweifelhafter Natur sind. Sundance Kid zum Beispiel war niemals auch nur in ein einziges Revolverduell verwickelt – die Reputation des bekanntesten Mitglieds von Butch Cassidys »Wild Bunch« beruhte höchstwahrscheinlich auf einer Namensverwechslung.
Konnte sich ein Revolverheld erfolgreich einen völlig überzogenen Ruf zulegen, hatten seine potentiellen Feinde wie auch seine Gegenüber beim Kartenspiel Angst vor ihm, und dieses Image verhalf ihm dazu, gute Aufträge als Leibwächter, Schutzgelderpresser, Attentäter, Räuber oder auch Sheriff an Land zu ziehen.
Revolverhelden als Sheriff? Aber klar!
Das Eintreten für Recht und Ordnung war ein gängiger Nebenjob für gedungene Mörder. Tom Horn, der im Auftrag der Pinkerton-Detektei mindestens drei Männer erschoss, arbeitete auch als Deputy Sheriff. Ben Thompson, berühmter Revolverheld und Profispieler, war zeitweilig Polizeichef von Austin, Texas. Auch Doc Holliday und Billy the Kid haben sporadisch Sheriffsterne getragen.
Oft ging es darum, dass eine Stadt eine zu hohe Verbrechensrate hatte und man einen echten Kerl anheuern musste, um die Kriminellen zu vertreiben. Nachdem der Revolverheld dies erledigt hatte, baten die Bewohner ihn höflich, wieder zu gehen. Manchmal gingen unsere Helden aber einfach nicht.
Als der Stadtrat von El Paso 1882 seinen Stadtmarshall Dallas Stoudenmire rausschmeißen wollte, marschierte der empfindliche Herr Stoudenmire schnurstracks ins Rathaus und forderte die Stadträte auf, ihm entweder seine Waffen oder seinen Job wegzunehmen. Der Stadtrat ließ seine ursprüngliche Idee daraufhin fallen. Auch die Entlassung von Sheriff Commodore Perry Owens in Holbrook, Arizona, gestaltete sich nicht problemlos. Als er merkte, dass sein Gehaltsscheck nicht zum gewohnten Tage eintraf, besuchte er den Gemeinderat persönlich und forderte mit gezogener Waffe seinen Lohn in bar ein, den er auch anstandslos bekam, wahrscheinlich in kleinen, nicht durchnummerierten Scheinen.
Das blankpolierte Image des Wilden Westens – der aufrechte Cowboy, der gerechte Sheriff und der Gunfighter, der nie danebenschießt – verführt uns Amerikaner manchmal dazu zu glauben, dass wir wirklich so sind oder so sein sollten. Ein schöner Traum …
Hinter dieser Idealvorstellung steckt indes noch ein anderer Westerner, der wiederum real ist und der den Amerikaner mehr prägt, als er sich selbst bewusst ist: der Pionier.
Ihn hat es wirklich gegeben, und seine Traditionen führen wir heute noch fort, auch wenn wir das gar nicht mehr wissen. Der Pionier ist der wahre Held des Westens und der echte Urahne des Amerikaners.
Die meisten Menschen, die in den Westen gezogen sind, waren nämlich keine Viehbarone und Revolverhelden, keine Prostituierten oder Indianerjäger. Sie hatten mit der romantisierten Vorstellung des Westens wenig am Hut. Es waren kleine Leute, deren größte Heldentat es war, den Mut aufzubringen, in den Westen zu ziehen und dort zu überleben. Zwischen 1843 und 1869 marschierten, ritten und fuhren mindesten 500.000 Menschen gen Westen. Es waren ganz normale Menschen mit einer besonderen Eigenschaft:
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