Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Sie waren zäh. Sie hatten keine Hilfe zu erwarten, kein soziales Netz und keinen Plan B. Oft besaßen sie nicht einmal einen Plan A. Sie waren nur bereit, eine Menge zu ertragen, und genau das taten sie dann auch. Sie kamen in Gruppen, meist in Begleitung eines professionellen Führers, über die vier großen »Trails«, später dann per Eisenbahn. Ein Zehntel von ihnen erreichte ihr Ziel nicht. Sie starben unterwegs an Krankheiten, Hunger, Durst, durch Unfälle, Unwetter und Überfälle.
Die größte Angst verbreiteten die Indianer – obwohl, rein statistisch gesehen, viel mehr Menschen an Krankheiten und Unfällen starben.
Im Kino sieht man immer wieder, wie die Indianer eine Wagenburg der Siedler angreifen. In Wahrheit war das selten: Nicht, weil sie nie angriffen, sondern weil sie gegen eine Wagenburg nicht viel ausrichten konnten. Indianer-Angriffe kamen nicht so oft vor, wie man sich das heute vorstellt, aber sie kamen vor. Meist fing es mit dem Versuch an, den Pionieren ihre Pferde zu klauen, manchmal stellte dies auch nur eine Mutprobe dar. Sollte sie schiefgehen, kam es zur Konfrontation.
Die meisten Familien aus dem Westen können sich heute noch an die Begegnung irgendeines Vorfahren mit Indianern erinnern. In meiner Familie beispielsweise traf es den entfernten Verwandten John Pekin Duncan. Er hatte sich gemeinsam mit anderen Siedlern im Jahr 1774, noch vor dem Unabhängigkeitskrieg, in Moore’s Fort in Virginia verschanzt – in dem übrigens gerade der berühmte Daniel Boone das Kommando führte. An einem Abend im September verließ Duncan die Festung, um mit zwei anderen Männern im Wald nach den Fallen zu schauen, in denen hoffentlich ein paar leckere Wandertauben stecken würden. In der Nähe lauerten – schon seit Tagen – Krieger des berüchtigten Cayuga-Indianers Chief Logan. Als diese angriffen, konnten die anderen beiden entkommen, Duncan aber musste dran glauben. Am nächsten Morgen fand man seinen Leichnam, seinen Skalp jedoch hatten sie mitgenommen. Immerhin hat ihm dies eine bescheidene Art von Ruhm beschert: Nur dank der zweifelhaften Leistung, skalpiert worden zu sein, kennen überhaupt noch ein paar Mitglieder meiner Familie über 200 Jahre später seinen Namen.
Die Mormonen, meine frühere Glaubensgemeinschaft, sind ein gutes Beispiel dafür, wie so ein Treck in den Westen funktionierte. 1846, als ihr Gründer Joseph Smith von einem aufgebrachten Mob erschossen wurde, waren sie noch eine relativ kleine Sekte im Bundesstaat Illinois. Sein Nachfolger Brigham Young sagte sich: »Nichts wie weg hier«, ordnete an, in den Westen zu ziehen, auf der Suche nach einem Landstrich, wo noch echte religiöse Freiheit herrschte – und wiederholte damit die Gründungsgeschichte der USA .
Young plante alles bis ins Detail. Er machte sich schlau. Er sammelte tragbare Boote, Landkarten, wissenschaftliche Instrumente, Farmerausrüstung, Saatgut und Informationen über Ackerbau und künstliche Bewässerung. Er suchte sich eine neue Route aus, damit sie unterwegs auf möglichst wenige andere Pioniere stoßen würden. Als Ziel wählte er eine Region aus, die noch außerhalb der USA lag und wo sich kein vernünftiger Mensch in absehbarer Zeit niederlassen würde: den großen Salzsee in Utah, wo das Wasser so viel Salz enthielt, dass weder Mensch noch Tier noch Pflanze davon trinken konnte. Ja, dort würden die Mormonen wohl ein paar Jahre lang unbehelligt bleiben.
Die 2.000-Kilometer-Route führte von Nauvoo, Illinois, quer über die Rocky Mountains (später wurde die Eisenbahn dann entlang dieser Stecke gebaut). Insgesamt über 70.000 Menschen machten sich über mehrere Jahre hinweg auf diesen Weg. Morgens um fünf wurde man durch ein Signal geweckt, um 7:00 Uhr brach der Treck auf und erst um 20:30 Uhr stoppte er wieder; sechs Tage die Woche ging das so. Zwischen 20 und 30 Kilometer schafften die Pioniere täglich. Unterwegs jagten sie. An den Flüssen bauten sie Fähren für die nachfolgenden Gruppen (großzügigerweise auch für Nicht-Mormonen, wobei diese dann doch 1,50 Dollar pro Wagen zahlen mussten).
Es wurden Listen von Dingen verteilt, die man mitbringen sollte: Zwei bis drei Ochsen, zwei Milchkühe, Waffen und Munition, Seile, Gerätschaften zum Angeln, Kochen und für den Ackerbau, mindestens 500 Kilo Mehl. Unterwegs wurden die Ochsen, die alles schleppen mussten, immer langsamer, und man warf Ballast ab: Bücher, gutes Porzellan, Möbel. Eine Familie verbuddelte ihr Klavier östlich
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