Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
starb, war man überrascht zu erfahren, wie viel Geld sie hatte – eine Viertel Million.
Die offiziellen Denkmäler für die »pioneer woman« in vielen Städten des Westens zeigen typischerweise eine Frau in langem, züchtigem Kleid mit Kind an der Hand, die mit hoch erhobenem Kopf in die Weite schaut. Aber immer, wenn ich sie wieder einmal in natura sehe, bin ich überrascht, dass doch etwas fehlt: In meinem Kopf steht sie zwar ebenso da, mit Kind und in die Ferne schweifendem Blick, aber hinzu kommt, dass sie eine Schrotflinte umklammert.
Noch heute wachsen die Töchter im Westen anders auf.
Sandra Day O’Connor, die Richterin aus El Paso, Texas, die in den 1980ern zum ersten weiblichen Mitglied des Obersten Gerichtshofes bestimmt wurde, war als junges Mädchen ebenfalls Cowgirl. Sie bezeichnete ihre Erfahrungen auf dem »round-up«, dem jährlichen Zusammentrieb des Viehs, als ihre erste Lektion, wie man sich in einer Männerwelt durchsetzt.
Wann immer wir einer Frau begegnen, die mehr Willen besitzt als Eitelkeit und hart im Nehmen ist, sagen wir bewundernd: Sie ist »pionier stock«, sie stammt von Pionieren ab. Stimmt, sie ist bestimmt keine »trophy wife«, keine »Trophäe« – aber wir wissen, heiraten wir sie, sind wir in guten Händen.
Europäer finden es sonderbar, dass prominente (republikanische) Politikerinnen wie die Beinahe-Präsidentschaftskandidatinnen Michelle Bachmann und Sarah Palin sich überhaupt nicht um die Rechte der Frauen scheren. Das macht sie aber nicht unbedingt zu Heuchlerinnen: Alle haben sie ja auch Kinder und Familie, sie machen halt nur obendrein auch Karriere in einer Männerwelt. Es ist kein Zufall, dass diese Frauen aus dem Westen kommen.
Als die Amerikanerinnen in den 1970ern und 1980ern gegen die Frauendiskriminierung kämpften, waren sie sehr nahe daran, einen Zusatzartikel in die Verfassung schreiben zu lassen, der gleiche Rechte für Frauen garantieren würde. Sie schafften es nicht: Der Zusatzartikel wurde abgeschmettert. Nicht, weil die Männer es nicht wollten, sondern weil die Frauen es nicht wollten. Es war etwas Paradoxes passiert: Frauen hatten dagegen protestiert. Es handelte sich vor allem um Frauen aus dem Westen wie etwa die Anwältin Phyllis Schafly, die berufstätig, politisch aktiv und längst emanzipiert war. Sie gaben verschiedene Gründe für ihre ablehnende Haltung an, einschließlich der Bewahrung traditioneller Werte, aber ich hatte immer das Gefühl, dass sie im Grunde beleidigt waren: Eine Frau aus dem Westen kann gut auf sich selbst aufpassen, lässt sich von niemandem sagen, was sie zu tun oder zu lassen hat, weiß, was sie will – und kriegt es auch –, und muss doch nicht von irgendwelchen unzufriedenen, überkandidelten, pseudo-intellektuellen Tussen aus dem Nordosten vor sich selbst gerettet werden!
20
Wir wollen den Wilden Wes ten wiederhaben
I ch erinnere michnoch gut an diesen Blick, den mir mein Bruder zugeworfen hat, als ich bei ihm in Portland, Oregon, zu Besuch war und er so nebenbei fragte, wie die Deutschen denn Amerika sähen. Ich schwärmte ihm vor, wie fasziniert sie von unserem Land seien, von der Landschaft, den netten Menschen, von diesem Gefühl von Abenteuer, nach dem sie sich sehnten – es würde ihnen hier eigentlich nur eines fehlen: ein soziales Netz.
Er schnaubte verächtlich.
Stimmt, wir sind unsozial.
Es ist nicht unser edelster Charakterzug, aber die meisten Amerikaner hegen eine heimliche Verachtung für Menschen, die im sozialen Netz hängen bleiben. 2001 wollte der Sender National Public Radio von seinen Hörern wissen, woher Armut komme. Egal aus welcher Ecke des Landes die Zuhörer stammten, die meisten antworteten, dass arme Menschen keine innere Motivation hätten, dass ihnen der Ehrgeiz fehle und dass sie nicht hart genug arbeiteten.
Wer arm ist, hat sich erstens in unseren Augen einfach nicht genug abgestrampelt – und zweitens wird er übermorgen möglicherweise gar nicht mehr arm sein.
Das klingt für Deutsche herzlos und völlig aus der Luft gegriffen, und nicht ohne Grund: Wer nämlich in Deutschland erst mal arbeitslos ist, wird es lange bleiben. Monate oder gar Jahre länger als bei uns. In den USA dagegen mangelt es zwar an so angenehmen Errungenschaften wie gesetzlichem Kündigungsschutz, dafür aber werden Arbeitslose, auch ältere, nicht so rasch aufs Abstellgleis geschoben wie hierzulande und schneller wieder eingestellt.
Die Vorfahren der Typen im Westen, die heute Mais in Iowa
Weitere Kostenlose Bücher