Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
auf der High School. Aber er wettert auch, ohne mit der Wimper zu zucken, gegen die »Lüge« Klimawandel, gegen Schwule in der Armee, die Gesundheitsreform und hohe Benzinpreise. Wenn Obama gewählt würde, so warnte er, verlöre Amerika die Tradition der Familie ganz aus den Augen, und dann nähme man unter anderem auch die Gefahr in Kauf, dass Tel Aviv Opfer eines nuklearen Angriffes werde, Russland Osteuropa zurückerobere, Amerikaner über 80 keine Gesundheitsvorsorge mehr bekämen und die Wirtschaft einbreche.
Für europäische Ohren hört sich das vielleicht wie an den Haaren herbeigezogen an, wir Amerikaner jedoch hören nur »family values« und sind ganz Ohr. Ohne Dobsons Einfluss wäre George Bush womöglich nie Präsident geworden.
Die vermutlich amerikanischste aller Kirchen ist ganz und gar auf der Idee der Familie aufgebaut. Das große Versprechen der Mormonen lautet nämlich: Wer in einem Mormonen-Tempel heiratet, geht einen besonderen Bund mit Gott ein, der beinhaltet, dass seine Familie ewig ist. Auch nach dem Tod wird man als Familieneinheit – Mann und Frau, Kinder, Enkel – zusammen sein. Das ist die mormonische Vorstellung vom Himmel, und es ist wahrscheinlich der wichtigste Grund, warum diese Kirche zu den am schnellsten wachsenden gehört.
Die Idee der ewigen Familie geht so weit, dass selbst die Person Gottes und die Ewigkeit nach diesen Maßstäben definiert werden. Die Mormonen halten Jesus Christus buchstäblich für den »Sohn Gottes« und uns Menschenkinder für die »Kinder Gottes«, wie es auch in der Bibel steht. Folglich sind wir Jesu Geschwister.
Und wenn wir die Kinder Gottes sind, können wir, wenn wir erwachsen sind, denn auch so werden wie unser Vater? Auf Erden geht das doch – wir wachsen ja heran. Funktioniert das also auch im Himmel?
Die Kirche argumentiert da völlig logisch und sagt: Ja. Im Himmel, wenn wir die Prüfung des Erdenlebens gut bestanden haben, werden wir weitere Kinder bekommen können und für diese Kinder ein Erdenleben erschaffen, genau wie Gott das für uns getan hat.
Und hatte denn Gott selbst auch einen Vater?
Die Antwort lautet: Ja. Und einen Großvater auch, und der hatte auch einen Vater, und immer so weiter. Und er hat übrigens auch eine Ehefrau. Wenn die Mormonen sagen, die Menschheit sei eine große Familie, dann meinen sie das auch! Diese Vorstellung vom Himmel konnte nur von einem Amerikaner erfunden werden: eine ewige Groß-Familie, in der die ganze Menschheit vereint ist und sich in alle Richtungen endlos vermehrt. Wenn Sie glauben, hier auf Erden seien Familienfeste die reinste Hölle, dann warten Sie, bis Sie in den Mormonen-Himmel kommen …
Die sprichwörtliche amerikanische Prüderie wird gern auf unsere Gottgläubigkeit zurückgeführt. Stimmt nicht: Sie gründet in der Religion der Familie. Sex wird oft schlicht als eine Bedrohung der Familie empfunden. Wenn Kids Zugang zu Pornographie haben oder auch nur im Fernsehen zufällig eine nackte Brust sehen, geht es nicht um die Bilder selbst. Es geht um die Entweihung des Sex. Wenn Kinder lernen, dass es ein ganz normales körperliches Bedürfnis ist, wie Hunger – dann sind vor- und außerehelicher Sex am Ende plötzlich in Ordnung. Und wenn der Mann problemlos vor der Ehe an Sex kommt – welche Motivation hat er da noch zu heiraten? Die Angst vor Sex bzw. vor Promiskuität und einer gelockerten Sexualmoral ist die Angst vor dem Zerfall der Familie. Und das ist in Amerika eine tatsächlich existentielle Angst.
Das ist auch der Grund für den so genannten »Abtreibungs-Widerspruch«. Eine Abtreibung ist für viele Amerikaner das Schlimmste, was man machen kann: Kindesmord. Gleichzeitig hat aber fast niemand ein Problem mit der Todesstrafe. Abtreibung ist Mord, die Todesstrafe aber nicht. Klingt absurd, aber betrachten Sie es mal durch die Familienbrille, dann zeigt sich die Logik dahinter: Eine Abtreibung zerstört die entstehende Familie, und Gesetze, die Abtreibung zulassen, verringern folglich den Wert der Familie. Bei der Todesstrafe ist es umgekehrt. In Amerika wird nur Mord unter Todesstrafe gestellt, und Mörder, wie jeder weiß, zerstören Familien. Gesetze, die Mörder in Schutz nehmen, verringern also ebenso den Wert der Familie.
Das erklärt vielleicht auch, warum so viele Amerikaner Angst vor der Homo-Ehe und der Homosexualität insgesamt haben. Eigentlich ist die Idee, Homosexuellen weniger Rechte einzuräumen als anderen, eine äußerst unamerikanische
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