Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
aus der Hand. Dann tauchten ebenso ernst zu nehmende Hinweise auf, dass Meerträubel auch unangenehme Nebenwirkungen hervorrufe, einschließlich der Kleinigkeiten Herzinfarkt, Schlaganfall und Tod. Was allerdings am Gewichtsverlust selbst nichts ändert.
Die Meerträubel-Pillen-Industrie trat sofort verantwortungsbewusst auf den Plan und rief umgehend eine kostspielige »Aufklärungskampagne« ins Leben, in der die Nebenwirkungen als lächerlich gering eingestuft wurden. Je mehr die negativen Hinweise sich häuften, umso eifriger wurde aufgeklärt. Als herauskam, dass die Firma Metabolife 14.000 schriftliche Klagen wegen gefährlicher Nebenwirkungen erhalten und dies weder der FDA noch während der offiziellen Untersuchung durch den Kongress irgendwem gemeldet hatte, musste der Chef von Metabolife, das inzwischen vier Millionen Dollar in so genannte Aufklärung investiert hatte, in den Knast.
Allerdings hatte die FDA bis dahin die Untersuchungen eingestellt. Der Grund: Meerträubel sei keine Medizin, sondern ein Kraut, also ein Lebensmittel, dessen Verbreitung nicht reguliert werden müsse. Man verbiete ja auch Pfeffer nicht.
Drei Jahre später starb dann der Baseballspieler Steve Bechler, der bei den Baltimore Orioles in Diensten stand, nach einem Hitzschlag. Bei der Obduktion wurde festgestellt, dass die Einnahme von Meerträubel eine signifikante Rolle bei seinem Tod gespielt hatte.
In Amerika ist der Tod eines Baseballspielers nun natürlich eine ernsthafte Sache. Die FDA wurde böse, richtig böse. Selbst der Kongress, selbst diejenigen im Kongress, deren Kinder beruflich mit den Herstellern von Meerträubel zu tun hatten und die bis dahin Meerträubel mit Herz und Seele verteidigt hatten, wurden böse. Endlich wurde Meerträubel verboten.
Laut Dan Hurley werden heute in den USA jährlich Nahrungsergänzungsmittel im Wert von 21 Milliarden Dollar verkauft, die nicht in den Kontrollbereich der Regierungsbehörden fallen. Das heißt, keiner überprüft ihre Wirksamkeit, und niemand informiert die Verbraucher, dass es sich nicht um echte Wundermittelchen handelt, sondern um – »snake oil«.
Grund hierfür ist, dass es die amerikanische Gesetzgebung nicht als ihre Aufgabe ansieht, uns vor unserer eigenen Dummheit zu schützen, sondern lediglich, uns davor zu bewahren, an unserer eigenen Dummheit zu krepieren. Dieser feine Unterschied markiert die kaum wahrnehmbare Grenze zwischen Zuständigkeit und Nicht-Zuständigkeit unseres Staates. Heroin verbieten – das muss der Staat. Aber wirkungslose Zuckerkügelchen zu untersagen, die als Verjüngungskur, als Mittel zur Potenzstärkung oder gar als Heilmittel gegen Krebs angeboten werden – das geht zu weit!
Sicher, könnte man eindeutig beweisen, dass die Hersteller dieser Nahrungsergänzungsmittel bewusst betrügen – dass sie also genau wissen, was sie tun –, könnte man einen Prozess gegen sie anstrengen. Nur leider ist das schwer nachzuweisen. Man kann höchstens aufzeigen, dass die Mittel selbst wirkungslos sind, nicht aber, dass der Verkäufer das weiß. Und uns vor wirkungslosen Mitteln zu schützen, ist eben nicht Aufgabe der Regierung.
Das wäre ja so, als würde man Dummheit verbieten wollen. Dumm zu sein aber ist das Recht eines jeden Amerikaners, und das lassen wir uns nicht nehmen!
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Wir wollen alles, und zwar umsonst
W ir Amis können andererseits aber auch ganz schön prüde sein, sobald ein bisschen Spaß droht.
In meiner alten Kirche etwa, bei den Mormonen, sind Kartenspiele jeder Art verboten. Selbst Solitaire gilt als potentielle Einstiegsdroge. Denn wo gepokert wird, wird auch gesoffen, betrogen und, weil es eine Sucht ist, bald geklaut und gemordet, das weiß doch jeder. Im amerikanischen Volksmund heißt ein Satz Spielkarten: »Das Bilderbuch des Teufels«.
Die allgemeine Einstellung lautet: Wir Amerikaner haben vielleicht Fehler, aber Glücksspiel gehört nicht dazu. Bis auf den Sündenpfuhl Las Vegas (die glamouröse Ausnahme von der Regel) ist es in den meisten Bundesstaaten selbst im eigenen Wohnzimmer verboten, um Geld zu pokern. Nicht nur aus moralischen, sondern auch aus kapitalistischen Gründen lehnen wir Amerikaner das Glücksspiel ab, denn es untergräbt das natürliche Prinzip der freien Marktwirtschaft: Ein anständiger Kapitalist verdient sein Geld, indem er etwas produziert, nicht, indem er einfach mehr Glück hat als andere.
Was war ich als braver Amerikaner da schockiert, als ich zum ersten Mal nach Deutschland
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