Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
auch die Amerikaner Klapperschlangenöl, und Clark Stanley wurde reich. Es war der Beginn eines seltsamen, ur-amerikanischen Widerspruchs, der wie für Betrüger gemacht war: Einerseits sah man Indianer als unverbesserliche, ungebildete und ungläubige Primitive an, die niemals zivilisiert werden könnten; andererseits glaubte man sofort, dass sie irgendwelche mystischen Heilkenntnisse besaßen, von denen die moderne Medizin nur träumen konnte. Während die Kavallerie im Westen Indianer jagte, kaufte man im Osten Medizin: »Dr. Morse’s Indian Root Pills«, »Kickapoo Indian Sagwa«, »Monster Brand Snake Oil« und anderes mehr.
Es sollte über 20 Jahre dauern, bis die staatlichen Behörden Clark Stanleys »snake oil« genauer untersuchten. Erst mit dem »Pure Food and Drug Act«, der ab 1906 die Inhaltsstoffe von Medizin regulieren und genau solche Leute wie Mr. Stanley aus dem Verkehr ziehen sollte, um das Volk vor seiner eigenen Dummheit zu schützen, tat sich langsam etwas.
1917 griffen die Behörden dann endlich zu. Sie konfiszierten eine Ladung seines »snake oils« und stellten fest, dass es tatsächlich aus Öl bestand – und zwar aus Mineralöl mit ein wenig Chili und einem Hauch von Terpentin, um den typischen Medizingeruch hervorzurufen.
Mannomann, waren die Behörden auf Clark Stanley wütend. Er muss gezittert haben. Auf einmal spürte er die ganze Wucht der Regulierungsbehörden der Vereinigten Staaten – und musste 20 Dollar Strafe zahlen.
Man könnte fast behaupten, die amerikanischen Behörden waren letztlich gar nicht so bedrohlich, wie man sie sich gewünscht hätte. Damit hätte man auch recht. Zu ihrer Verteidigung kann man jedoch anführen, dass sie allerhand zu tun hatten. Denn bis die Regierung endlich auf die Idee kam, gefährliche medizinische Betrügereien ein klein wenig einzudämmen, war die Produktpalette von Clark Stanleys Konkurrenten bereits explodiert:
Medizin auf Basis von Opium wurde verkauft, um temperamentvolle Kinder ruhigzustellen; ADHS war also wohl schon vor der Erfindung von Ritalin ein drängendes Problem. Ein besonders erfrischender Schnupftabak enthielt Kokain.
Bald nach der »Columbian Exposition« verbreitete sich die Elektrizität durch die Staaten wie heute der iPod. Man kaufte futuristische Schuheinlagen, die elektromagnetische Impulse in die Füße jagten, und stimulierende Elektro-Mützen, die versprachen, Männer endlich von ihren Glatzen zu befreien.
Als Strom zum alten Hut wurde, entdeckte man radioaktive Strahlung: »Radithor« war mit Radium angereichertes Wasser und wurde von dem falschen Arzt und Harvard-Abbrecher William J.A. Bailey als Heilmittel gegen etliche Leiden von Geisteskrankheit bis Kopfschmerzen verkauft. Der kranke Stahlerbe Eben Byers trank 1.400 Flaschen des leckeren Atommüllgetränks. Als sein Kiefer vermutlich schon im Dunkeln leuchtete, entfernte man diesen, aber das half auch nichts mehr. Er starb 1932.
Zu seiner Entschuldigung könnte man anbringen, dass kein Mensch damals von den Nebenwirkungen der Radioaktivität wusste, aber das wäre nicht ganz richtig: Der Nobelpreisträger Hermann Joseph Muller veröffentlichte schon 1927 den Beweis, dass diese Strahlung lebensgefährlich ist. Byers wurde entsprechend in einem Bleisarg beerdigt, und das Wall Street Journal titelte: »Das Radiumwasser funktionierte prima, bis sein Kiefer abfiel.«
Trotzdem konnte man Bailey nichts anhaben. Im Gegenteil: Obwohl die Behörden ihn den Rest seines Lebens jagten, machte er ein neues Geschäft nach dem anderen auf und verkaufte radioaktive Gürtelanhänger, fluoreszierende Papierbeschwerer und strahlungsverseuchtes Wasser für Männer mit Potenzproblemen. Er starb als reicher Mann – und kein bisschen atomverseucht.
Heutzutage ist der Einfluss unserer Regulierungsbehörden wie zum Beispiel der »Food and Drug Administration« ( FDA ), die unter anderem Medikamente zulässt, natürlich größer. Sie sind sogar in der Lage, radioaktive Medizin, Kokain- und Heroin-Mixturen sowie rein aus Mineralöl bestehende Medikamente vom Markt zu werfen. Das wäre auch toll, wenn diese Ingredienzien heute noch Verwendung fänden. Mittlerweile sind jedoch ganz andere zwielichtige Mittelchen en vogue, zum Beispiel ein Kraut namens Meerträubel oder Ephedra.
Kaum fanden sich ernst zu nehmende Hinweise, dass Meerträubel beim Abnehmen helfe, wurde schon eine ganze Reihe von Meerträubel-Abnehmpillen auf den Markt geworfen. Die Leute rissen sie sich förmlich
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