Plasma City
Betrachtungsweise verleiht einer großen Tragödie einen historischen Hintergrund und wirkt auf diese Weise sogar noch stärker als die ungeschminkte Wahrheit.
Kherzaki ist einfach wunderbar. Er versucht gar nicht erst, Constantine zu imitieren, lässt sich aber gewisse Anspielungen nicht nehmen – hier eine ungeduldige Geste oder ein Blick wie von einem Leoparden, dort eine Redewendung, die Aiah von Constantine kennt. Der Schauspieler ist am Ende des Chromos, als alle Hoffnungen zerschlagen sind, besonders überzeugend, als er versucht, halbwegs würdevoll ins Exil zu gehen, während er seine Metropolis den korrupten Mächten überlassen muss, die alle seine Pläne vereitelt haben.
Aiah ist fasziniert und hingerissen, und sie ist nicht die Einzige. Nach der Vorstellung applaudiert das Publikum begeistert. Sie hat noch nie eine so erschöpfende Biographie gesehen, noch nie ein besseres Zeugnis für das Leben und Denken eines Menschen.
Es folgt eine kurze Pause, danach sollen Live-Berichte von der Premierenfeier folgen, aber nach dem fünfgängigen Mahl des Chromoplays ist Aiah an Berühmtheiten zum Nachtisch nicht sonderlich interessiert. Sie steht auf und rückt ihr Jackett zurecht, der Türsteher erhebt sich höflich, um ihr Platz zu machen.
»Gutes Chromo«, sagt er.
»Ich glaube, Constantine wird sich freuen.«
»Constantine?« Er runzelt die Stirn. »Hat er denn mitgespielt? Ich habe ihn nirgends gesehen.«
Aiah sieht den Mann verwundert an. »Es war ein Chromo über Constantine. Über sein Leben. Clothius war Constantine.«
Der Türsteher blinzelt verunsichert. »Oh, deshalb ist er so berühmt, nicht wahr?« Und dann, als Aiah ihn verblüfft ansieht, fügt er entschuldigend hinzu: »Ich sehe kaum Nachrichten.«
Aiah hätte beinahe entnervt den Kopf geschüttelt. »Nun ja, jedenfalls bin ich froh, dass es Ihnen gefallen hat.« Sie schiebt sich an ihm vorbei zum Gang.
»Wann kommt Ihr Freund eigentlich wieder nach Hause?«, fragt der Türsteher.
Aiah zuckt die Achseln und sieht sich kurz über die Schulter um.
»Wer weiß?«
■ ■ ■
Aiah fährt mit dem Taxi zum Terminal. Jetzt, zum Beginn des Wochenendes, sind die Straßen recht belebt, vor den angesagten Clubs stehen Schlangen und das Schildlicht funkelt hell auf Ketten und anderem Schmuck. In den ärmeren Vierteln wie am Terminal sind ganze Straßenzüge abgesperrt, damit die Leute draußen tanzen können, während örtliche Musikgruppen auf Tiefladern spielen und fliegende Händler kleine Gerichte, Drogen und Aphrodisiaka verkaufen.
Aiah bittet den Fahrer, sie hinter dem Gebäude abzusetzen, in dem Kremag und Partner residieren, aber die Straße ist gesperrt – dieses Mal allerdings nicht wegen eines Straßenfestes, sondern von der Polizei. Das Blaulicht zuckt über die Mauern der Häuser, in der Luft liegt ein Hauch von Pfefferspray, der Aiahs Augen brennen macht. Auf dem Gehweg liegen einige klagende Leute, offenbar Gaffer, die sich feuchte Handtücher auf die Augen drücken und von gleichgültigen Sanitätern überwacht werden.
In einem reichen Wohnviertel würde die Polizei niemals so freigebig mit dem Tränengas umgehen, denkt Aiah.
Jedenfalls ist sie froh, dass sie Constantine gute Nachrichten übermitteln kann. Sie trägt dem Taxifahrer auf, zum Landmark zu fahren. Als der Wagen wendet und an dem riesigen Wohnblock vorbeifährt, sieht Aiah Khoriaks blonden Kopf aus dem Eingang eines Ladens lugen.
Demnach sind ihre Nachrichten wohl doch keine Neuigkeiten, denkt sie.
Die Sicherheitskräfte haben sich schon im Landmark einquartiert. Kalte Nudeln, Pate, Früchte und ein guter, bernsteinfarbener Wein warten auf sie. Aiah isst, nimmt ein Bad, vertreibt die Müdigkeit mit einer Prise Plasma und findet ein Geschenk von Constantine auf dem Bett: ein Negligee aus goldener Seide, ein dazu passender Bademantel und Fläschchen mit Zedernöl und passendem Parfüm. Aiah legt das Elfenbeinhalsband an, das Constantine ihr geschenkt hat. Das geschnitzte weiße Trigramm hängt tief zwischen ihren Brüsten. Sie genießt es, sich ausgiebig einzuölen und denkt, dass sie jetzt eine echte Mätresse geworden ist: die Limousine, die Einkaufsfahrten, der Mops auf dem Rücksitz …
Ziemlich albern, denkt sie. Sie kann sich nicht vorstellen, dass Constantine sich lange mit einer so nutzlosen Frau abgeben würde.
Constantine kommt nach einer Weile, Gesicht und Oberkörper in einem Sweatshirt mit Kapuze verborgen, das ihm das Aussehen eines
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