Plastikfreie Zone
es mir.
Dennoch kommt es nicht selten vor, dass sich andere Menschen dadurch genötigt sehen, ihre Standpunkte zu verteidigen oder sich für ihre eigene Lebensweise zu rechtfertigen. Besonders seltsam finde ich es, wenn ich zu Besuch bei Freunden oder Bekannten bin, die sich plötzlich für irgendwelche Plastikteile in ihrem Haushalt entschuldigen, zumal ich selbst nie auf die Idee käme, irgendjemanden diesbezüglich belehren zu wollen. Wie sollte ich auch – schließlich war ich lange genug fast ein Plastikjunkie. Und ich mag vor allem nicht über das Thema reden, wenn diese Spirale aus schlechtem Gewissen und Rechtfertigung losgeht. Das macht keinen Spaß, das empfinde ich als extrem mühsam.
Es war wohl doch nicht allein der hellblaue Plastiklöffel, der all diese Gedanken ausgelöst hat. Irgendwie ist mir mit einem Mal bewusst geworden, dass unser Experiment an einem entscheidenden Wendepunkt angekommen ist, ohne dass ich sagen könnte, wohin die Reise gehen wird.
Am Abend, nachdem die Kinder im Bett sind, spreche ich mit Peter darüber, frage ihn, wie er die Entwicklung unseres Versuchs mit allen seinen Konsequenzen sieht. Ob er zufrieden ist, ob es ihm gut geht damit und vor allem, ob und wie es sich aus seiner Sicht auf unsere Beziehung und auf unser Zusammenleben ausgewirkt hat. Peter ist kein Mann, mit dem man so etwas jeden Tag besprechen kann. Er muss in der richtigen Stimmung sein, sonst entlockt man ihm nicht mehr als ein schlichtes »Passt alles«. Doch heute habe ich den richtigen Moment erwischt.
»Es war schon ziemlich plastiklastig in letzter Zeit«, meint er »Und du warst halt wie immer sehr im Mittelpunkt und hast ein ziemliches Tempo vorgegeben. Zwischendurch war’s tatsächlich etwas mühsam, dazu die ganzen Interviews. Aber im Endeffekt fand ich’s immer interessant, und von der Sache selbst war ich ja sowieso von Anfang an überzeugt.« Und nach einer kurzen Pause: »In gewisser Weise bewundere ich auch, wie du das alles machst und dass du mit solchen Dingen so offensiv umgehen kannst, die Leute begeisterst … Manchmal beneide ich dich sogar ein wenig darum.«
So etwas habe ich von Peter nie zuvor gehört. Bislang war eher ich es, die ihn beneidet hat – wegen seiner Ruhe und Gelassenheit und wie unaufgeregt er unser Experiment betrachtet. Während mir Interviews und sonstige Medienkontakte meist Spaß machten, empfand Peter sie allerdings teilweise als ziemlich anstrengend. Und die Kinder? Nachdem der erste Reiz vorbei war, begann es sie zu nerven, ständig die gleichen Fragen gestellt zu bekommen. Marlene hat es einmal sehr treffend ausgedrückt: »Wieso wollen eigentlich immer alle wissen, was schwierig war? Wieso fragen sie nie, was wir toll finden und warum wir das machen?« Sie durchschaute anscheinend ganz instinktiv die mediale Strategie, alles etwas übertrieben und extremer darzustellen, und empfand solche Suggestivfragen einfach als unangenehm. Wobei wir den Kindern im Umgang mit den Medien ebenfalls die Wahl gelassen haben, ob sie sich aktiv daran beteiligen wollten. Speziell Marlene stellte sich in den meisten Fällen ganz gerne für ein Interview zur Verfügung. Ich hatte sowieso des Öfteren das Gefühl, dass die beiden Großen besser als so manche Erwachsene den Sinn unseres Experiments verstanden haben.
Ich war und bin sehr stolz auf meine Familie, wie mir Peters unerwartetes Kompliment wieder einmal bewusst gemacht hat. Weil sie nicht nur die Zustimmung zu diesem Projekt gab, sondern es entgegen mancher Prophezeiung über den ursprünglich geplanten Zeitraum hinaus gemeinsam mit mir zu tragen bereit war. Trotz der gänzlich unerwarteten Eigendynamik, die sich entwickelte, ist es letztlich vor allem unser kleines Familienexperiment geblieben, aus dem wir alle sehr viel gelernt haben.
An diesem Abend passiert etwas, was ich nur sehr selten erlebe: Ich bin einfach nur zufrieden.
Am nächsten Morgen verspüre ich plötzlich große Lust, zum Lavantsee zu gehen, der ungefähr eine Dreiviertelstunde von der Hütte entfernt liegt. Obwohl ich normalerweise nicht besonders gern alleine losziehe, ist es mir an diesem strahlend schönen Frühlingstag einfach ein Bedürfnis.
Schon nach den ersten paar Minuten des Weges empfinde ich ein seltenes Gefühl von Geborgenheit. Jeder Schritt scheint mich einem noch unbekannten Ziel näher zu bringen. Je weiter ich mich von der Hütte entferne, umso machtvoller ergreifen alle möglichen Eindrücke und Erinnerungen aus den letzten
Weitere Kostenlose Bücher