Plastikfreie Zone
Er zeigt viele verschiedene Facetten von Kunststoff. Offensichtlich langlebig, ziemlich hässlich, nicht verrottend und zugleich sicher nicht mehr das, was man gemeinhin als hygienisch bezeichnet. Da man ihn nicht verbrennen kann wie einen alten Holzlöffel und er auch nicht mit Plastikverpackungen entsorgt werden darf, müsste man ihn in den Restmüll werfen, mit dem er günstigstenfalls in einer großen Müllverbrennungsanlage landet. Irgendwie komisch, dass ein einzelner Plastikkochlöffel solche Assoziationen auslöst. Ich frage mich, ob ich vielleicht langsam ein bisschen seltsam werde, eine Plastikphobikerin, gar ein »Plastiktaliban«, wie es ein charmanter Leser unseres Blogs einmal ausgedrückt hat, oder eine Umweltterroristin mit Spezialgebiet Plastik. Schlimmer noch: Machen sich bei mir vielleicht erste Anzeichen von Verfolgungswahn bemerkbar?
Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich kurz nach dem ersten Fernsehbericht über unser Experiment mit dem Ehemann einer guten Freundin geführt habe. Er meinte damals, dass unsere neue Art des Einkaufens unglaublich einschränkend sei und die Wahlfreiheit dadurch leide, weshalb er nicht bereit sei, sich derartigen Zwängen zu unterwerfen. Obwohl oder vielleicht gerade deshalb, weil ich wusste, dass er mich damit aus der Reserve locken wollte, stieg ich voll auf das Thema ein und nahm ihn meinerseits unter Beschuss, indem ich mein Verständnis von Wahlfreiheit dagegensetzte. Die Werbung sei es, die im Auftrag großer Konzerne unsere Wahlfreiheit einschränke, weil sie unsere Gehirne über sämtliche Sinne mit ständigen Konsumaufforderungen bombardiere. Sie schaffe so etwas wie eine Inflation der Bedürfnisse und Wünsche und gaukle uns vor, alles, was wir bräuchten, könne man kaufen, und alles, was wir käuflich erwerben, bräuchten wir auch. Eben diese Art von Werbung sei dafür verantwortlich, dass unsere Wahlfreiheit sich auf die angepriesenen Produkte reduziere. Alles andere werde ausgeblendet, existiere in der Auswahlmöglichkeit durchschnittlicher Konsumentinnen und Konsumenten gar nicht.
So gesehen empfand ich unsere damals beginnende Suche nach Alternativen als eine Erweiterung unserer Wahlfreiheit, denn so gut wie keines der neuen Produkte hatte ich jemals zuvor in einer Anzeige oder einem Werbespot bemerkt, denn das können sich die zumeist kleinen Herstellerfirmen gar nicht leisten. Und so war ich sehr zufrieden, als ich ungefähr ein Jahr nach dem Start unseres Experiments feststellte, dass sich in unserem Haushalt so gut wie kein Produkt mehr befand, das im großen Stil beworben wurde. Ich fühlte mich dadurch eindeutig freier, hatte das Gefühl, dass wir ein Stück unabhängiger geworden waren, und die ungefragte Zustellung von Werbematerial verbaten wir uns durch einen Aufkleber am Briefkasten. Der größte Gewinn an Wahlfreiheit bestand schließlich in der Erkenntnis, dass man für viele Dinge gar keine Alternativen braucht, dass vieles ersatzlos gestrichen werden kann. Allerdings lasse ich mich ebenso wenig durch das Experiment zu etwas zwingen – auch in dieser Hinsicht möchte ich meine Wahlfreiheit behalten.
Wenn ich zumindest teilweise Konsum verweigere, so hat das für mich eine ganz besondere Qualität. Verweigerung fühlt sich stark an, ist Ausdruck von Widerstand und Aktivität und hat nichts mit Gefühlen von Verzicht, Entbehrung oder Nichtdazugehören zu tun, die in meinen Augen Passivität und Schwäche signalisieren und demzufolge negativ besetzt sind.
So erlebe ich unser Experiment eben nicht. Für mich herrscht nach wie vor ein positiver Ansatz vor, bei dem die Suche nach besseren Alternativen im Vordergrund steht, selbst wenn das öfter einmal bedeutet, einfach nichts zu kaufen. Manchmal oder gar nicht so selten handle ich dabei sogar aus einer Trotzreaktion heraus: »Das lasse ich mir nicht gefallen, da mache ich nicht mit!«
Also doch ein »Plastiktaliban«, oder? Nein, denn ich selbst empfinde unsere Bemühungen nur als einen Versuch, auf einer sehr subjektiven Ebene das Nötige vom Unnötigen zu trennen und sich dann möglichst bewusst für das eine oder das andere zu entscheiden. Nichts Aufregendes also, zumal wir die Freiheit für uns beanspruchen, unseren Entschluss jederzeit rückgängig machen zu können. Niemand zwingt uns schließlich dazu – wir sind immer noch mitten in der »Bequemlichkeitszone«. Entbehrung sieht jedenfalls anders aus. Je länger unser Experiment dauert, umso weniger bemerkenswert scheint
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