Plastikfreie Zone
anfänglichen Ehrgeiz einen heilsamen Dämpfer versetzte und uns schon von Beginn an vor jeglicher Radikalisierung bewahrte.
Ich sehe mich im Gelände um. Alles um mich herum erscheint mir unglaublich lebendig. Die Latschenkiefern, die Gräser und Pflanzen, die ersten Blumen, sogar die Steine scheinen zu atmen. In mir macht sich ein Gefühl von Ehrfurcht und unendlicher Dankbarkeit breit. Direkt neben mir steht ein kleines, ziemlich verkrüppeltes Bäumchen, und weil sonst gerade niemand da ist, mit dem ich diese wunderschöne Empfindung teilen kann, umfasse ich den dünnen Stamm mit beiden Händen, als würde ich ihn umarmen. Danach fühle ich mich leicht und frei und gehe langsam wieder auf den markierten Weg zurück.
Als ich schließlich den Lavantsee erreiche, der bis auf ein kleines Stück noch zugefroren ist, bin ich von der Schönheit und Ruhe dieses Ortes überwältigt. Hier scheint es fast so, als gäbe es sie doch noch, die unberührte Natur, und mir fällt ein, dass ich auf dem ganzen Weg kein einziges Stück Plastikmüll gesehen habe, eine Tatsache mit Seltenheitswert. Bin ich etwa in einer plastikfreien Zone gelandet? Nun ja, um diese Jahreszeit sind hier natürlich kaum Menschen, die Müll hinterlassen könnten. Aber die These, dass die Menge des Plastikmülls mit zunehmender Höhe abnimmt, kann ich trotzdem aus meinen zahlreichen Bergerfahrungen bestätigen.
Während ich minutenlang schweigend am See stehe, scheint plötzlich alles einen Sinn zu ergeben. Der Weg zählt, auf dem sich jeder einzelne kleine Schritt, jeder Umweg gelohnt hat, und die Sehnsucht, all diese Schönheit zu bewahren, auch für nach folgende Generationen, sowie der brennende Wunsch, selbst etwas dazu beizutragen.
Letztlich war es der Glaube an die Bedeutung des eigenen Handelns, der uns vor mehr als eineinhalb Jahren zu unserem kleinen Experiment motivierte. Was inzwischen daraus geworden ist, übertrifft bei Weitem all unsere Erwartungen. Obwohl immer wieder davon die Rede war, haben wir nicht ganz ohne Kunststoff gelebt. Dazu hätten wir schon in eines der mehrere Hundert Jahre alten Häuser im Freilichtmuseum Stübing einziehen müssen. Aber wir schafften uns plastikfreie Zonen, und obwohl wir an viele Grenzen stießen, fanden wir fast immer Auswege oder zumindest Kompromisse. Wir mussten manchmal eine langsamere Gangart einschlagen, haben den Weg jedoch niemals verlassen und sind gespannt auf die Stationen, die vor uns liegen.
Ich weiß zwar nicht, ob die gesundheitlichen Auswirkungen unseres Experiments sich positiv messen und die Reduktion von Schadstoffen in unserem Haushalt sich wissenschaftlich überprüfen lassen würden – eines allerdings kann ich mit Sicherheit sagen: Mein eigenes Wohlbefinden hat sich seit Beginn unseres Experiments eindeutig verbessert. Es tut einfach gut, sinnvoller mit dem umzugehen, was uns im Überfluss zur Verfügung steht, und dabei ständig die eigene Kreativität zu fordern.
Der Weg, den wir in den letzten eineinhalb Jahren gegangen sind, war lang, jedoch nicht beschwerlich. Jetzt sind wir am Ende angekommen, weil unser Versuch aufgehört hat, ein Experiment zu sein, weil er sich weiterentwickelte und Teil unseres Lebensalltags geworden ist. Die Phase des Ausprobierens liegt hinter uns. Die Frage ist nicht mehr, ob es geht, sondern wie weit es gehen kann. Daran wollen wir feilen.
Natürlich hadere ich bisweilen damit, dass ich nicht mehr tun, nicht die ganze Welt oder zumindest Teile davon zu retten vermag, aber ich habe gelernt, dass jeder kleine Schritt bedeutsam ist. Für mich selbst, für meine Kinder, für die Hoffnung auf Veränderung und für die Motivation, weitere kleine Schritte zu gehen.
Mehr kann ich als einzelner Mensch nicht tun.
Allerdings auch nicht weniger.
Nachwort: Was sich seither getan hat
Seit meiner Wanderung zum Lavantsee ist fast schon wieder ein halbes Jahr vergangen.
Das Stofftaschenprojekt, das ich initiiert habe, ist mit Schulbeginn 2011 an fast allen Schulen, Kindergärten und Altenbetreuungseinrichtungen der Region angelaufen. Überall werden neue Fair-Trade-Baumwolltaschen bemalt und gebrauchte Stofftaschen gesammelt. Inzwischen erhielt ich sogar Zusendungen aus Deutschland und der Schweiz. Auch bei den Geschäftsleuten unserer Region kommt das Projekt mittlerweile sehr gut an. Über zwanzig Firmen sind es bislang, die unsere Taschen nach Abschluss der Sammelaktion als Alternative zu Einwegtaschen an den Kassen gegen freiwillige Spenden anbieten
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