Plattenbaugefühle: Jugendroman
Sehnsucht nach Fabian und Berlin.
»Kannst du bitte aufmachen, Jonas?« Nach ein paar Minuten klopft er leise an die Türe.
»Nein!«
»Bitte entschuldige, Jonas. Es ist in Ordnung, ich lasse dich damit in Ruhe. Du bist nicht schwul. Okay? Und wir rauchen eine Friedenspfeife. Und dann hören wir Musik und alles ist gut. In Ordnung?«
»Mh ...«
Ich weiß nicht, wieso ich ›Mh‹ sage und ›Okay‹ denke, doch als ich aus dem Bad komme und er mich so lieb anschaut, dann schüchtern den Kopf senkt und dabei wie ein kleines schuldbewusstes Kind aussieht, kann ich ihm nicht mehr böse sein. Ich möchte ihn plötzlich in den Arm nehmen, doch lasse ich es lieber.
Wir gehen auf den Balkon. Er dreht zwei Zigaretten. Wir schweigen uns eine Weile an. Er zündet beide an. Reicht mir eine davon weiter. Ich schaue auf Kranichstein. Nehme einen kräftigen Zug. Fülle meine innere Leere damit.
»Ist alles wieder gut bei dir?«
»Mh … «, zucke ich die Schultern.
»Bedeutet das ›Ja!‹?« fragt er mich unsicher.
»Ich bin nicht schwul. Fabian war mein bester Freund. Ich weiß sowieso nicht, wieso du die ganze Zeit davon redest.«
»Tut mir leid.« Er schaut dabei auf den Boden. Dann öffnet er den Mund, sagt aber nichts.
Ich warte. Doch es kommt nichts. Es ist eine greifbare Spannung in der Luft. Ich fühle mich unwohl, ein bisschen wie vor einer Prüfung, vor der ich nichts gelernt habe.
Nach dem Rauchen legen wir uns wieder auf das Bett. Wuffi liegt zwischen uns, und das ist vielleicht ganz gut so. Womöglich ist er so etwas wie ein Puffer. Noch ist es aber nicht so wie vor dem ›Streit‹. Wir hören Clueso. Ein deutscher Sänger mit schönen Texten, über die Liebe und über das Überfordertsein mit dem Leben, jung ist er, frisch hört sich sein Sound an, mit Einflüssen aus dem Reggae, aus der Black Music, aber auch ein bisschen poppig manchmal. Mit der Stimme Cluesos im Ohr – und im Herzen - fühle ich mich wieder heimelig, so nah neben Danny, ich weiß nicht, ob es ihm auch so geht. Wirke ich echt so schwul? Was will ich von ihm? Bin ich etwa verliebt in ihn? Nein, das kann nicht sein.
»Jonas, es gibt Essen«, ruft meine Mutter, kommt ins Zimmer, ihr Blick fällt auf Danny. »Oh. Du hast Besuch«, sagt sie erstaunt.
Er stellt sich vor, sie freut sich. Ich sehe an ihren Augen, dass irgendetwas ist. Sie lädt ihn zum Abendbrot ein, doch er erwidert, dass er mit seiner Mutter zum Essen verabredet sei. Er packt seine Sachen, dabei schmeißt er aus Versehen Wuffi aus meinem Bett, hebt ihn lächelnd, aber auch leicht die Augenbrauen hochziehend auf und legt ihn vorsichtig ins Bett. Was denkt er jetzt bloß? Er verabschiedet sich lächelnd von uns, auch in diesem Moment erscheint er selbstbewusst.
Beim Abendessen erzähle ich von meinem ersten Schultag. Meine Mama nickt zufrieden.
»Er sieht Fabian ähnlich, nicht wahr?«
Ich schaue sie fragend an.
»Ich meine deinen neuen Freund!«
»Meinst du?« Merkwürdig. Das war mir nicht aufgefallen.
»Und ihr habt geraucht.«
Es ist mir peinlich.
»Wenn das dein Vater erfährt, mein lieber Jonas, dann möchte ich wirklich nicht in deiner Haut stecken!« Dabei runzelt sie die Stirn. Auf unseren Familienfeiern wird erzählt, dass sie früher nicht nur geraucht und gekifft hat, sie verkehrte in ganz anderen Kreisen in ihren Abi- und Studientagen. Das weiß ich, auch wenn versucht wird, es vor mir zu verbergen. Sie hatte sich militanten Studentengruppen angeschlossen. Die machten sich nicht nur für mehr Rechte für unterdrückte Minderheiten in der ganzen Welt stark, sondern auch gegen Umweltverschmutzung und demonstrierten gegen Atomkraftwerke, errichteten Sitzblockaden, ketteten sich an Gleise, damit man das Plutonium nicht nach Gorleben transportieren konnte. Mein Vater jedoch könnte sehr ungemütlich werden, wenn er das mit dem Rauchen, selbst wenn es nur Zigaretten sind, mitkriegte.
»Vermisst du Fabian?«
Denkt sie, dass ich schwul bin? Glaubt sie, dass Fabian mein fester Freund war und dass nun ein anderer Junge diese Rolle einnimmt?
Ich liege in meinem Bett, mit dem MacBook neben mir, ich sehe darauf meinen Freund Fabi, wie ich ihn meistens nenne, wir skypen. Im ersten Moment wird mir zwar ganz wehmütig, doch dann fühlt es sich gut an, ihn zu hören, ihn zu sehen, so ein bisschen wie Heimat – Heimat, die für diese Augenblicke zurückkehrt. Ich würde es ihm gerne sagen, doch ich weiß nicht wie. Ich erzähle ihm von meinem ersten Kampf und
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