Plattenbaugefühle: Jugendroman
Rapper ist, MC Ümit. Kennt ihr den? Der ist in den Charts. Er macht mit mir ne Platte.«
»Ey, super Sache!«, sage ich und muss mich vorsehen, ihn nicht auszulachen, diesmal aber nicht, weil ich ihn lächerlich finde, sondern weil ich das heute süß finde. Er möchte einfach nur gemocht werden, »Aufmerksamkeit« würde meine Mutter sagen, und ich denke, wieso denn nicht, er ist doch echt nett und liebenswert.
Der Lehrer stürmt herein, mit einem großen Korb, in dem sich Millionen von Materialien befinden. »Hansen ist cool«, flüstert mir Danny ins Ohr und deutet auf ihn. »Den interessiert nicht, wer im Klassenraum sitzt und wer nicht. Lass uns rausgehen!«
Im ersten Moment bin ich fassungslos, aber dann denke ich: ›Was soll´s!‹.
»Ich brauche dringend einen Kaffee. Lass uns mal rüber zu Aris gehen«, sagt Danny in der großen Pause.
Who the fuck is Aris? frage ich mich.
»Das ist unser cooler Sozialarbeiter.«
»Was? Cooler Sozialarbeiter? Schließen sich diese beiden Worte nicht gegenseitig aus?«
»Ja, ich weiß. Wollsocken, Birkenstock und hässliche bunte Pullover. Immer schön am Tee trinken und positiv sein und so. Glaub mir, so ist Aris nicht. Aber das wirst du ja gleich sehen, wenn wir drüben sind.«
Als wir in der Schulsozialarbeit klingeln, ist sehr viel los. Ein Fünftklässler macht uns auf. Hinter ihm taucht ein junger Mann auf. Er hat hellblaue Chucks an! Graue Röhrenjeans und ein rosa T-Shirt mit V-Ausschnitt komplettieren sein Outfit. Oh Mann! Er kommt lachend auf mich zu und begrüßt uns. »Schöne Chucks!« sagt er zu mir, er schaut mich so merkwürdig an, als ob er meine Gedanken lesen könnte.
»Habt ihr einen besonderen Wunsch?«
Danny zeigt Richtung Küche und zwinkert ihm zu. Aris nickt, deutet an, dass er gleich vorbeischauen wird. Mein Banknachbar kocht frischen Kaffee. So selbstsicher wie er das bei mir zuhause tut, so selbstverständlich, so, als würde ihm die Welt gehören. Ich setze mich und schaue ihm dabei zu, ich, der immer abwartet, der darüber staunt, dass Danny die Verantwortung übernimmt. Dagegen komme ich mir sehr unsicher vor und warte lieber ab – und am Ende mache ich alles mit.
»Vor den Sommerferien war ich ständig bei Aris«, sagt Danny.
»Wieso?« frage ich irritiert.
»Ich wollte nicht nach Hause ...« Er klingt etwas geknickt.
»Ach, dieser beknackte Freund deiner Mutter«, nicke ich ihm zu.
»Genau. Aris war da für mich. Wie ein Kumpel. Haben gekocht, sind Döner essen gegangen. Das war chillig.« Seine Miene hellt sich bei den Worten auf.
»Ist das nicht ungewöhnlich?«
»Aris ist kein typischer Sozialarbeiter!« lacht er.
Das habe ich schon bemerkt, denke ich. Er trägt das gleiche Outfit wie ich, sieht cool aus, locker, er ist hübsch. Er ist ein Mann, ich ein Kind, und ich bin nicht schwul. Scheiße! Gestern habe ich noch mit Wuffi geschmust, heute beschäftigt mich, ob ich auf Männer stehe!
»Was ist mit euch? Kein Unterricht?« Aris kommt in die Küche gelaufen.
»Wir haben ein dringendes Problem!« sagt Danny kichernd.
»Ok, dann reden wir drüber!« erwidert Aris lachend. Er setzt sich an den Tisch, schaut mich an.
»Du kommst aus Berlin. Aus welchem Kiez denn?« möchte er wissen.
»Aus Schöneberg.«
»Ach, da wohnt mein Ex-Freund. Da habe ich sehr viel Zeit verbracht. Früher. «
»Bist du schwul? Oh, entschuldigen Sie!« platzt es aus mir heraus.
»Wofür entschuldigst du dich? Für das mit dem Schwulsein? Oder für das Duzen? Duzen darfst du mich! Und dass ich schwul bin, ist an der EKS kein Geheimnis!«
»Wirklich nicht?« Ich habe Angst, dass meine Stimme zu schrill dabei klingt. Ich muss wohl ein sehr verdutztes Gesicht machen, denn er fängt an, schallend zu lachen. Mich überfordert das gerade, aber das scheint ihn nicht zu stören. Nach diesen Träumen mit dem Jungen, nach diesen ersten Schultagen bin ich verwirrt und habe ein mulmiges Gefühl. Bin ich deswegen hier? Warum hat mich Danny hierher gebracht? Ich blicke meinen Freund an, der erneut ein souveränes Gesicht macht, wie immer.
»Jonas, was schockiert dich denn daran? Damals blieb mir die Entscheidung, ob ich mein Schwulsein verheimlichen will und damit etwas vorlebe, was ich nicht mag, oder ob ich es offen thematisiere.« Aris macht ein nachdenkliches Gesicht. Stockt ein bisschen, blickt mir in die Augen.
»Es war nicht so, dass ich es unbedingt jedem erzählen wollte, nur wurde ich geoutet und danach ständig ausgefragt. Natürlich hätte
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