Plattenbaugefühle: Jugendroman
die ganze Zeit ein Hirngespinst? Und gestern Nacht? Ein Mystery-Thriller? Bin ich in einem Film gefangen?
Omama hat gehört, wie jemand die Tür schloss. Sie schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, »Reisende sollte man ziehen lassen«, sagt sie in großmütterlichem Ton. Sie ist verärgert, sonst hätte sie sich nicht hinter einem Sprichwort versteckt.
»Was ist nur los?«
»Dieser Junge ist undankbar, unhöflich, er ist eingebildet und dumm!« es bricht aus ihr heraus wie ein Wasserfall, »er hat etwas zu verbergen, da ist etwas faul! Ich möchte nicht, dass du etwas mit ihm zu tun hast.« Sie ist unheimlich sauer. »Ich verstehe deine Mutter nicht! Wieso hat sie das alles gemacht? Bei dir, ja! Verstehe. Der Junge ist hübsch, er ist verwegen, er hat dir den Kopf verdreht … Aber deine Mutter! Sie hat sonst so eine gute Intuition.« Sie schimpft über ihre Tochter, die einfach einen muslimischen Jungen in ihrer Wohnung abgeliefert hat und dann verschwunden ist. »Möchte sie jetzt die ganze Welt retten?« fragt sie, während sie das Frühstück vorbereitet. »Lieber Gott«, sie verdreht die Augen, »damals waren es die Spießer, jetzt sind es schwule Jugendliche anderer Kulturen!«
»Omama! Er ist nicht so schlecht!« wage ich ihr zu widersprechen.
»Du bist doch nur verliebt!« Sie schaut mich so an, als ab ich nicht alle Tassen im Schrank hätte.
»Er ist schwierig, er kann schlecht kommunizieren, er ist unsicher, ja …«, ich versuche ihn in Schutz zu nehmen, »aber er ist im tiefsten Inneren lieb. Er ist ein guter Mensch!« Ich sage es, aber ich glaube es selbst gar nicht mehr. Wollte er einfach nur fort von zuhause?
»Ein guter Mensch haut nicht einfach ab! Nicht so!« ruft sie und zeigt zur Eingangstür. »Liebe macht blind«, meint sie, »und deine Mutter ist übergeschnappt«, sie brüht Kaffee auf, ihre Hände zittern vor Wut, »sie wollte endlich mal eine Revoluzzerin sein … einen Jungen vor ›dem Islam‹ retten«, sie schaut mich geradewegs an, »wenigstens eine einzige Seele davon befreien« und imitiert die Stimme ihrer Tochter. »Wenn dein Vater es erfährt!« Sie schüttelt den Kopf.
Ich ertappe mich dabei, wie ich verärgert und genervt von Afyon bin. Ich weiß gar nicht, ob ich hier sein möchte. Omama nimmt mich in die Arme, »vergiss diesen Jungen«, sagt sie leise.
›Bitte melde dich. Wo bist du?‹ Ich sende eine SMS an Afyon, hole meinen iPOD aus der Tasche, höre Musik. Wenn er sich die nächsten drei Stunden nicht meldet, dann ist es aus! Das denke ich mir. Ich werde warten, bis Fabian aus der Schule kommt.
Ich schaue alle paar Minuten auf mein Mobiltelefon.
Es tut sich nichts.
Die Zeit vergeht.
Ich liege im Englischen Garten, Aris ist neben mir, schaut in den Himmel, sagt: »Aller Anfang ist schwer!« Als ich ihn fragen möchte, was er damit meint, merke ich, dass er nicht mehr da ist und von einer anderen Person ersetzt worden ist, von einer meiner Grundschullehrerinnen, die ich damals so streng fand, die mich aber jetzt herzlich anblickt und zu mir sagt: »Alles wird gut!«. Als ich von ihr wissen möchte, was das zu bedeuten hat, löst auch sie sich auf und wird durch Elisa vertreten, die wiederum nur eine Floskel vor sich hin spricht: »Alles bleibt gleich!« Plötzlich schüttet es wie aus Kübeln auf mich, während ich im Park liege.
Verwirrt wache ich auf, bemerke, dass ich eingenickt bin. Die Fleet Foxes bringen mich wieder ein bisschen runter, die Musik ist gerade das Richtige für mich, es ist alles wie ein Traum, auch in ihrer Musik, ›die Welt ist aufregend, alles kommt und geht, wie in der Natur so auch bei den Menschen, beruhige dich, just relax, mach dich locker, das ist es alles nicht wert. Kein Drama, keine Aufregung bei mir.‹
Wahrscheinlich hatte ich mich innerlich in den letzten Tagen von ihm entfernt, obwohl das Umgekehrte der Fall hätte sein müssen. Aber meine Intuition war eine andere, und meine Gedanken kreisten seit Paul darum, dass es auch anders sein kann, dass ich mit einem Jungen stundenlang reden und flirten kann, dass es mehr geben kann als zwischen mir und Afyon. Und vor allem, dass es kein solcher Kampf ist, sein muss, sein sollte. Ich liege da und weiß nicht weiter.
Fabian meldet sich. Afyon immer noch nicht.
»Lass uns durch die Straßen zieh´n« reißt mich Fabi aus meinen trüben Gedanken. Wir schauen an unseren alten Treffpunkten vorbei und sehen Freunde. Ich fühle mich daheim, möchte für immer hier bleiben. Doch
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