Plattenbaugefühle: Jugendroman
will er mir erzählen?
»Da gab es Riesenstreit, Alda? Bist du noch dran?«
»Ja …«
»Seine Alte hat geweint, sein Vater hat geschrien …«
»Und?«
»Am nächsten Tag haben sie das mit der Türkei erzählt.«
»Scheiße!« Meine Sinne vernebeln sich. Mir wird ganz schlecht. Scheiße, ich Idiot! Ich habe ihm das angetan! Ich bin Schuld daran, verdammt nochmal! Hätte ich ihn doch nur in Ruhe gelassen! Ich bin ein Spast, ein Spast, ein Spast!
»Megascheiße, echt!« Mohammed, der gar nicht Mohammed heißt, bestärkt auch noch mein Gefühl.
Ich kann es wirklich nicht fassen! »Bist du da ganz sicher?«
»Ganz Kranichstein spricht schon darüber, man.«
Das ist so Klischee, das ist so daneben, das ist so unglaublich! Er war doch gestern, nein, vorgestern noch mit mir zusammen in Berlin! Ist er deswegen so früh am Morgen weggegangen? Ohne ein Wort?
»Wenn er jetzt weg ist, kannst du doch zurückkommen, oder?«
»Ich weiß nicht …«
»Ich möchte ein bisschen kicken mit dir … wirst auch noch mal was, ich schwörs!«
»Meinst du das ernst, Alda?« frage ich ihn.
»Klar.«
»Und dich stört nicht, dass ich schwul bin?« Oh mein Gott! Ich habe mich selbst als schwul bezeichnet! Ob das gut ist?
»Ach was!« Ich kann seine tiefen Atemzüge hören. »Du kannst sein, was du willst. Aber fass mich nicht an … Du kannst schwule Deutsche ficken, aber keinen Marokkaner und keinen Türken. Okay!«
»Aber ...«
»Egal jetzt … Ich werde nie mehr mit dir darüber reden. Du bist echt fit und das muss dir jetzt reichen.«
»Und was denkst du über Afyon?«
„Es ist gut, dass er zurück geht. Mir ist egal, was Deutsche machen! Aber Moslems sollen so etwas nicht machen!«
»So etwas?«
»Du weißt, was ich meine. Ist doch egal. Ich leg jetzt auf, Tschounz. Wir sehen uns!«
Wir sehen uns? Weiß ich noch nicht, Mohammed, der du gar nicht Mohammed heißt. Wie heißt du denn eigentlich? Der Anruf verwirrt mich. Und die Lösung, die die Ehre wieder herstellt, erst recht: Er wird in die Türkei geschickt und wahrscheinlich sofort mit einem Mädchen verheiratet, das genauso jung und unreif ist wie er. Der Zorn über Afyons Familie liegt mir im Magen.
Weil ich Deutscher bin, darf ich schwul sein, passt schon, ist halt so, wir werden ja sowieso verweichlicht erzogen, wir sind alle keine Gläubigen, wir dürfen das. Aber lasst ja die rechtgläubigen Muslime in Ruhe, das sind gute Menschen, die machen solche ekelhaften Dinge nicht, und sollen auch nicht dazu verführt werden. Pah! Das darf alles nicht sein. Afyon in die Türkei? Jetzt wird mir schlecht, wirklich schlecht, und trotzdem beginne ich, ihn zu vermissen. Gerade noch dachte ich, Scheiß drauf, das hat doch keinen Sinn, und jetzt möchte ich ihn drücken, kuscheln, küssen, neben ihm einschlafen.
Ich rufe Danny an und er erzählt mir dasselbe.
Es ist also wahr. Und ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber, weil er noch nicht die ganze Geschichte kennt.
»Siehst du Aris?«
»Der ist schon seit einigen Tage nicht in der Schule! Hat sich krank gemeldet!«
Soll ich mich um ihn sorgen?
»Mensch, Jonas, was ist los mit dir?«
»Es geht schon! Ich brauche etwas Zeit für mich!«
»Was machst du in München?«
Er weiß noch nicht einmal, dass ich mich in Berlin befinde. Ich weiß auch nicht, wie ich ihm am Telefon alles erzählen soll.
»Frag lieber nicht.«
»Als meine Eltern sich trennten, ging es mir nicht so gut.« Seine Stimme ist ernst und melancholisch. »Ich bin zu einem Psychologen gegangen.«
»Danny …«
»Ist schon in Ordnung! Wenn du in Behandlung bist und nicht darüber reden möchtest … ist schon okay! Ich weiß, wie das ist.«
»Danke …« Oh mein Gott?
»Ich will dir nur noch das sagen … Er war es nicht wert!«
»Wer?«
»Afyon! Nicht für dich!«
»Du hattest mich aber am Anfang dazu provoziert!«
»Zu blöd, echt! Ich dachte, ich könnte dir helfen.«
Einige stille Sekunden vergehen.
»Du hast mir geholfen, Danny. Irgendwann werde ich dir alles erzählen können!«
Irgendwann, wenn vielleicht wieder Ruhe einkehrt in meiner Familie. Die Eltern haben Streit. Meine Mutter ist seit gestern wieder in Berlin und mein Vater, der gerade aus Barcelona zurückgekehrt ist, und die ganze verrückte Geschichte gehört hat, ist ausgeflippt. »Mit Recht!« schimpft Omama, »mit welchem Recht?« schreit Mama. »Kann ich in Berlin bleiben?« frage ich dazwischen und beide schauen mich an, als ob ich aus einer
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