Plattenbaugefühle: Jugendroman
überraschen. Sein Mobiltelefon ist ohnehin ausgeschaltet. Schöneberg! Ich falle Omama in die Arme. Sie will es kaum glauben, sie sieht gut aus, nicht gestresst, nicht böse, nicht enttäuscht. Ein Stein fällt mir von Herzen. Sie strahlt.
»Ist Afyon hier?«
Sie schüttelt den Kopf und schaut mich nun traurig an.
»Wo ist er denn?«
Sie zuckt die Schultern. »Er kam am gestrigen Abend nicht zurück von seiner … Tour«, sagt sie – mein Mobiltelefon klingelt in diesen Moment. »Deine Mutter wohl«, sagt Omama betrübt und fordert mich auf dranzugehen.
»Jonas!« schreit sie ins Telefon, »warum gehst du nicht dran? Wo bist du?« Meine Mutter ist außer Atem.
»Was machst du uns nur für Sorgen, mein Bub«, höre ich Omamas Stimme mit dem anderen Ohr, während sie hinter mir die Tür schließt.
»Wo ist Afyon, Mama? Weißt du was? Ist er in Kranichstein? Hat die Familie etwas damit zu tun? Wo bist du denn jetzt?«
»Halt, halt, mein Engelchen, erst einmal zu dir. Dein Onkel hat angerufen und mir erzählt, dass du schon weg warst, als sie dich wecken wollten. Wo bist du?«
»Na, in Berlin!«
»Was zum Teufel …«
»Beruhige dich, Mama, ich bin heil bei Omama angekommen, ich habe es nicht mehr ausgehalten. Und ich dachte, dass Afyon austickt, wenn er länger hier alleine ist. Und irgendetwas ist ja auch passiert.«
»Muss wohl. Aber wir wissen nichts. Ich habe ihn bei Oma gelassen und kam am gleichen Tag nach Darmstadt zurück.« Ihre Stimme wirkt bedrückt, »vielleicht begibst du dich in Gefahr! In München wärst du sicher gewesen.«
»Aber jetzt bin ich hier. Und ich mache mich gleich auf die Suche nach Afyon.«
»Nein«, brüllt sie, »das tust du nicht! Das ist viel zu gefährlich! Ich verbiete es dir!«
»Du kannst mir nichts verbieten. Und schon gar nicht so weit weg von hier.«
»Ich setze mich sofort in den Zug und komme!«
»Nein, das machst du nicht!«
»Du kannst nicht alleine auf die Suche gehen. Was passiert, wenn du ihn findest und seine Familie ist mit dabei? Die bringen dich um.«
»Das tun sie nicht. Außerdem nehme ich Fabian mit. Ich hole ihn gleich von der Schule ab.«
Sie schnauft verächtlich, das höre ich durch das Telefon, ich kenne diese Geräusche. »Ach ja, als wäre der kleine Fabian ein Superman!«
»Du kannst dir deine Ironie sparen.«
»Ich komme nach Berlin!«
»Aber ich …«, doch sie hat schon aufgelegt.
»Nun komm«, Omama ruft aus der Küche, »ich mache dir etwas zu essen, und du erzählst mir alles in Ruhe.«
Berlin und Ruhe! In so einer riesengroßen Stadt – vor allem, wenn man keinen Anhaltspunkt hat – ist man verloren.
Ich erkenne ihn schon von weitem. Ich weiß nicht, wie ich ihn begrüßen soll, schüchtern bleibe ich auf der Stelle stehen und muss unwillkürlich an ›Tsatsiki 2 – Freunde für immer‹ denken, als Tsatsiki, wie der Junge heißt, wieder nach Schweden zurückkehrt zu seinem besten Freund Per. Fabi kommt aus der Schule heraus, schaut auf die Straße, und dann entdeckt er mich. Ist er wegen Afyon böse auf mich? Freut er sich genauso wie ich auf das Wiedersehen? Er rennt auf mich zu, direkt in meine Arme, ich drücke ich ihn ganz fest an mich. Fabian jubelt vor Freude.
»Du dummer Spast!« sagt er frech, »seit wann bist du in Berlin?« Es überrascht ihn sehr, mich zu sehen. Er stellt mir tausend Fragen. »Du hast dich verändert«, fügt er mit sanfter Stimme hinzu, betrachtet mich näher, während er am Telefon seiner Freundin von meiner Ankunft erzählt und ihr für später absagt.
Ich bin froh, einfach froh, dass er für mich da ist.
»Dann lass uns auf die Suche gehen … nach deinem Türken!« sagt er und grinst mich an, so als hätte ich einen großen Fehler gemacht.
Wir kennen Schöneberg in- und auswendig, daher fällt uns nicht schwer, die Stellen zu finden, an denen sich Leute aufhalten, die gerne zocken. Fabian hört mir aufmerksam zu, was ich über Afyon erzähle. Nirgends ist er zu sehen. Auch in keinem Café, an keinem öffentlichen Platz, in keinem ›Späti‹ – in Berlin nennt man die Trinkhallen oder Kioske so, was habe ich solche Wörter vermisst! – »dein türkischer Liebhaber ist einfach nirgendwo ...«, sagt Fabi ironisch. Das Wort ›Liebhaber‹ spuckt er aus, es ist nichts wert.
»Fabi, hör bitte auf damit!«
»Oh, möchtest du schon mit der Suche aufgeben?«
»Hör auf über Afyon so zu reden!«
»Du und dein Afyon!« schreit er wütend. »Wo ist er denn? Warum meldet er sich nicht?
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