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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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wenn auch erst später, im fortgeschrittenem Alter; zu einem Zeitpunkt, dachte er, in dem es ihm völlig gleichgültig geworden war. Er parkte auf einem Seitenstreifen der inzwischen menschenleeren Avenue und versuchte noch einige Minuten lang, sich in Gleichmut zu üben.
         Kaum hatte er die Wohnungstür geöffnet, überfielen ihn wieder mit einem Schlag die Sorgen. Johanna, die die Kinder hüten sollte, lag auf dem Sofa hingelümmelt und sah sich MTV an. Er haßte dieses schlaffe Mädchen, das auf absurde Weise groovy war; jedesmal, wenn er sie sah, hatte er Lust, sie so lange zu ohrfeigen, bis sich der schmollende, überhebliche Ausdruck auf ihrem beknackten Gesicht änderte. Sie war die Tochter einer von Audreys Freundinnen.
        »Alles in Ordnung?« schrie er. Sie nickte lässig. »Kannst du den Ton etwas leiser stellen?« Sie suchte mit den Augen nach der Fernbedienung. Gereizt schaltete er den Fernseher ab; sie warf ihm einen gekränkten Blick zu.
        »Hat mit den Kindern alles geklappt?« Er sehne immer noch, obwohl kein Geräusch mehr in der Wohnung zu hören
    war.
        »Ja,ichglaube,sieschlafen.«Ein wenig erschrocken krümmte sie sich leicht zusammen.
        Er ging in den ersten Stock, öffnete die Tür zum Zimmer seines Sohnes. Nicolas warf ihm einen kühlen Blick zu, dann vertiefte er sich wieder in seine Partie Tomb Raider. Angélique dagegen schlief fest. Einigermaßen beruhigt ging er wieder nach unten.
    »Hast du sie gebadet?«
    »Ja, nein, hab ich vergessen. «
         Er ging in die Küche, goß sich ein Glas Wasser ein. Seine Hände zitterten. Auf der Anrichte sah er einen Hammer liegen. Johanna verdiente eigentlich noch mehr als Ohrfeigen; es wäre gut ihr den Schädel mit dem Hammer einzuschlagen. Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken; alle möglichen Dinge schossen ihm in wirrer Folge durch den Kopf. Erschreckt stellte er im Flur fest, daß er den Hammer in der Hand hielt. Er legte ihn auf einen kleinen Tisch und suchte in seiner Brieftasche nach Geld um es dem Babysitter für das Taxi zu geben. Das Mädchen nahm es entgegen und bedankte sich mit einem Brummen. Er schlug die Tür mit brutaler Gewalt hinter ihr zu, der Knall hallte durch die ganze Wohnung. Irgend etwas in seinem Leben war wirklich aus dem Gleis geraten. Der Getränkeschrank im Wohnzimmer war leer; Audrey war nicht einmal mehr imstande, sich darum zu kümmern. Wenn er an sie dachte, überlief ihn ein Schauer des Hasses von erstaunlicher Stärke. In der Küche fand er eine angebrochene Flasche Rum; das mußte reichen. Er ging ins Schlafzimmer und wählte nacheinander die Telefonnummern der drei jungen Frauen, auf die er im Internet gestoßen war doch jedesmal meldete sich nur der Anrufbeantworter. Sie waren vermutlich ausgegangen, vögelten auf eigene Rechnung. Sie waren wirklich sexy, sympathisch und easy; aber sie kosteten ihn immerhin zweitausend Franc den Abend, auf die Dauer war das demütigend. Wie hatte er es nur soweit kommen lassen können? Er hätte öfter ausgehen, Freundschaften schließen und sich nicht nur seiner Arbeit widmen sollen. Ihm fielen die Aphrodite Clubs ein, zum ersten Mal wurde ihmbewußt, daß es möglicherweise nicht so einfach sein würde, dieses Konzept bei der Geschäftsleitung durchzusetzen. In Frankreich war der Sextourismus im Augenblick eher verpönt. Er könnte Leguen natürlich eine entschärfte Fassung des Projekts vorlegen; aber Espitalier würde sich davon nicht täuschen lassen, der Mann hatte ein gefährlich feines Gespür, das wußte er. Aber hatten sie denn die Wahl? Ihre Positionierung im mittleren Preissegment war im Hinblick auf den Club Méditerranée völlig absurd, das würde er ihnen ohne Schwierigkeiten nachweisen können. Als er in den Schubladen seines Schreibtischs wühlte, fand er die Charta von Aurore wieder, die zehn Jahre zuvor von den Gründern entworfen worden war und die in allen Hotels der Gruppe aushing. »Das Credo von Aurore: die Kunst, Talent und können zu paaren, auf gewissenhafte Weise Tradition und Innovation, Phantasie und Menschlichkeit zu verbinden, um ein Höchstmaß an Qualität zu erreichen. Die Männer und Frauen im Dienst von Aurore sind im Besitz eines einzigartigen kulturellen Erbes, das sich durch den Sinn für Gastfreundschaft auszeichnet. Sie kennen die Riten und Bräuche, die das Leben in eine Lebenskunst und den einfachsten Service in einen privilegierten Augenblick verwandeln. Das ist mehr als ein Beruf- das

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