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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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bescheidene Ansprüche. Und zugleich ist der Wert ihres Hauses hier drastisch gefallen, weil jetzt jeder weiß, daß es ein gefährlicher Vorort ist, sie kann es nur zum Drittel seines Werts verkaufen.
        Überrascht haben mich auch die Sekretärinnen aus der Schreibzentrale im zweiten Stock. Ich bin um halb sechs in ihr
    Büro gegangen, um ein Schreiben tippen zu lassen; sie waren alle über das Internet miteinander verbunden. Sie haben mir erklärt, daß sie ihre Einkäufe jetzt nur noch auf diese Weise tätigten, das sei sicherer: Wenn sie von der Arbeit nach Hause kommen, verbarrikadieren sie sich in ihrer Wohnung, während sie auf den Lieferanten warten. «

    Im Laufe der folgenden Wochen ließ die Psychose nicht nach, im Gegenteil. Die Zeitungen waren jetzt voller Artikel über Lehrer, die erstochen, Grundschullehrerinnen, die vergewaltigt, Feuerwehrfahrzeuge, die mit Molotowcocktails angegriffen, oder Körperbehinderte, die aus dem Zugfenster geworfen worden waren, weil sie den Bandenchef »schräg angesehen« hatten. Vor allem Le Figaro ließ sich nach Herzenslust darüber aus; wenn man das Blatt täglich las, bekam man den Eindruck, als gingen wir unweigerlich auf einen Bürgerkrieg zu. Dazu muß man allerdings sagen, daß die Präsidentschaftswahlen bereits ihre Schatten vorauswarfen und daß das Thema der inneren Sicherheit das einzige zu sein schien, das Lionel Jospin bedrohlich werden konnte. Aber es war sowieso ziemlich unwahrscheinlich, daß die Franzosen Jacques Chirac wiederwählen würden: Er machte wirklich einen zu blöden Eindruck, das grenzte an Schädigung des Landesimage. Wenn man diesen großen Einfaltspinsel sah, wie er mit auf dem Rücken verschränkten Händen eine Landwirtschaftsausstellung besuchte oder an einem Treffen von Staatschefs teilnahm, war man geradezu peinlich berührt und empfand Mitleid mit ihm. Die Linke, die tatsächlich unfähig war, der Zunahme der Gewalt Einhalt zu gebieten, handelte eher klug: Sie hielt sich zurück, gab zu, daß die Zahlen schlecht oder sogar sehr schlecht waren, rief dazu auf, diese Tatsache nicht aus wahltaktischen Zwecken auszunutzen, und erinnerte daran, daß die Rechte es seinerzeit auch nicht besser gemacht hatte. Es gab nur eine kleine Entgleisung in einem lächerlichen Leitartikel eines gewissen Jacques
    Attali. Ihm zufolge war die Gewalt der Jugendlichen aus den Siedlungen der Vorstädte ein »Hilferuf«. Die Schaufenster der Luxusgeschäfte in Les Halles oder auf den Champs-Elysées waren, wie er schrieb, »angesichts des Elends, in dem sie lebten, eine obszöne Zurschaustellung«. Aber man dürfe nicht vergessen, daß die Vororte auch »ein Mosaik von Völkern und Rassen sind, die mit ihren Traditionen und ihren religiösen Überzeugungen gekommen sind, um neue Kulturformen zu entwickeln und die Kunst des Zusammenlebens noch einmal zu erfinden«. Valérie warf mir einen überraschten Blick zu: Es war bestimmt das erste Mal, daß ich beim Lesen des L'Express in Lachen ausbrach.
        »Wenn Jospin die Wahl gewinnen will«, sagte ich zu ihr und hielt ihr den Artikel hin, »dann sollte er dafür sorgen, daß Attali bis zum zweiten Wahldurchgang den Mund hält.«
        »Aha, du findest offensichtlich immer mehr Geschmack an strategischen Überlegungen... «

        Trotz allem ließ auch ich mich von der Besorgnis anstecken. Valérie arbeitete wieder länger, sie kam selten vor neun Uhr nach Hause; vielleicht wäre es ratsamer gewesen, eine Waffe zu kaufen. Ich hatte einen Kontaktmann, den Bruder eines Künstlers, für den ich zwei Jahre zuvor eine Ausstellung organisiert hatte. Er gehörte nicht wirklich der Unterwelt an, war aber in ein paar Betrügereien verwickelt. Er war eher ein Erfinder, jemand, der sich in allem versuchte. Kürzlich hatte er seinem Bruder gegenüber behauptet, er habe einen Trick herausgefunden, wie man die neuen Personalausweise, die angeblich fälschungssicher sind, nachmachen könne.
        »Das kommt nicht in Frage«, erwiderte Valérie sofort. »Ich bin keiner Gefahr ausgesetzt: Tagsüber verlasse ich das Firmengebäude nie, und abends fahre ich immer mit dem Wagen nach Hause, egal um welche Zeit.«
        »Aber es gibt noch die Ampeln.«
         »Zwischen dem Firmensitz von Aurore und der Autobahnauffahrt ist eine einzige Ampel. Anschließend fahre ich an der Porte d'Italie ab und bin gleich darauf zu Hause. Unser Viertel ist ja nicht gefährlich. «
         Das stimmte: Im eigentlichen

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