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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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auch deswegen, weil es eine regelrechte Umwälzung im Hinblick auf die herkömm liehe Auffassung des Clubaufenthalts darstellt. Dieses Konzept, das Anfang der siebziger Jahre durchaus angemessen war, entspricht heute nicht mehr den Anforderungen des modernen Verbrauchers. Die zwischenmenschlichen Beziehungen in den westlichen Ländern sind schwieriger geworden - etwas, was wir selbstverständlich alle bedauern...«, fuhr er fort und warf dabei erneut einen Blick auf Valérie, die mit einem Lächeln die Beine wieder nebeneinanderstellte.

        Als ich um Viertel nach sechs aus dem Büro zurückkam, war sie schon zu Hause. Ich war äußerst überrascht: Es war, glaube ich, das erste Mal, seit wir zusammenlebten, daß das vorkam. Sie trug immer noch ihr Kostüm und saß mit leicht gespreizten Beinen auf dem Sofa. Mit ins Leere gerichtetem Blick schien sie von schönen, glücklichen Dingen zu träumen. Ich wußte es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber ich erlebte in gewisser Weise etwas mit, das auf beruflicher Ebene einem Orgasmus entsprach.
        » Hat die Sache geklappt?« fragte ich.
        »Noch mehr als das. Ich bin direkt nach dem Mittagessen nach Hause gefahren, ohne im Büro vorbeizuschauen; ich wüßte nicht, was wir in dieser Woche noch mehr tun könnten. Er ist nicht nur an dem Projekt interessiert, sondern hat die Absicht, es bereits ab dieser Wintersaison zu einem ihrer Spitzenprodukte zu machen. Er ist bereit, die Herstellung eines Katalogs und eine Werbeaktion zu finanzieren, die speziell auf das deutsche Publikum zugeschnitten ist. Er ist der Ansicht, daß er ganz allein die Belegung der bestehenden Clubs gewährleisten kann; er hat uns sogar gefragt, ob wir noch weitere Clubs besäßen, die im Bau sind. Das einzige, was er als Gegenleistung dafür verlangt, ist die Alleinvertretung auf dem Markt in Deutschland, Österreich, in der Schweiz und in den Beneluxländern; im übrigen weiß er, daß wir mit Neckermann in Kontakt stehen.
        Ich habe uns fürs Wochenende im Thalasso-Zentrum in Dinard angemeldet«, fügte sie hinzu. »Ich glaube, ich habe das
    wirklich nötig. Wir könnten auch kurz bei meinen Eltern vorbeischauen.«

    Der Zug fuhr eine Stunde später vom Bahnhof Montparnasse ab. Sobald wir Paris den Rücken gekehrt hatten, ließ die angestaute Anspannung allmählich nach, und Valérie wurde wieder normal, das heißt eher sexuell erregt und spielerisch. Die letzten Hochhäuser aus dem Pariser Großraum verschwanden in der Ferne ; kurz vor der Ebene von Hurepoix beschleunigte der TGV und erreichte bald darauf seine Höchstgeschwindigkeit. Im Westen schwebte über der dunklen Masse von Getreidesilos noch ein kaum wahrnehmbarer roter Streifen, der letzte Schimmer des Tageslichts;, Wir waren in einem Wagen der ersten Klasse, der in halboffene Abteile unterteilt war; auf den Tischen, die unsere Sitze trennten, brannten schon die kleinen gelben Lampen. Auf der anderen Seite des Gangs saß eine schicke, sogar ziemlich aparte Blonde um die Vierzig mit zum Knoten hochgestecktem Haar und blätterte in Madame Figaro. Ich hatte mir die gleiche Zeitung gekauft und versuchte ohne großen Erfolg, mich für den Wirtschaftsteil auf den lachsfarbenen Seiten zu interessieren. Seit einigen Jahren spielte ich mit dem Gedanken, daß es theoretisch möglich sein müsse, die Welt zu entziffern und ihre Entwicklungen zu begreifen, indem man all das in den Zeitungen beiseite ließ, was sich auf Tagespolitik, Gesellschaft und Kultur bezog; daß es möglich sein müsse, sich ein zutreffendes Bild der geschichtlichen Bewegung zu verschaffen, indem man nur den Wirtschaftsteil und den Börsenbericht las. Ich zwang mich also dazu, täglich die lachsfarbene Beilage des Figaro zu lesen und zusätzlich manchmal noch abstoßendere Blätter wie Les Échos oder La Tribune Desfossés. Bisher hatte sich meine These noch nicht wirklich bestätigt. Es war durchaus möglich, daß sich geschichtlich relevante Informationen hinter diesen Leitartikeln in gemäßigtem Ton oder diesen Zahlenreihen verbargen; aber das Gegenteil konnte genausogut zutreffen. Die einzige sichere
    Schlußfolgerung, zu der ich gekommen war, lautete: Die Wirtschaft war wirklich entsetzlich langweilig. Als ich von einem kurzen Artikel aufblickte, der den Sturz des Nikkei zu analysieren versuchte, bemerkte ich, daß Valérie schon wieder mit dem Spielchen begonnen hatte, in kurzen Abständen die Beine übereinanderzuschlagen und wieder

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